A. Allgemeines zur Anfechtung

I. Normhistorie und Normzweck

Das Recht der Anfechtung ist geprägt von einem Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis nach allgemeiner Rechtssicherheit und Vertrauensschutz einerseits und dem Bedürfnis des Erklärenden, sich in bestimmten Fällen von seiner Erklärung zu lösen, andererseits. 1

In der Regel wird Empfänger einer Willenserklärungen nämlich auf den objektiven Gehalt der Erklärung vertrauen und den Erklärenden daran festhalten wollen. Auf der anderen Seite erscheint es unbillig, den Erklärenden an etwas festhalten lassen zu müssen, das er unter Umständen so eigentlich gar nicht erklären wollte, bspw. aufgrund eines Versehens bei der Beschriftung oder ähnlichem. Es geht um die Konkurrenz zwischen dem objektiv Erklärten und dem subjektiv Gewollten bzw. zwischen der Verantwortung, die aus der Privatautonomie, also der Freiheit, seine Rechtsverhältnisse nach eigenem Willen zu gestalten, erwächst und die Grundvoraussetzung zur Gestaltung der eigenen Rechtsverhältnisse – einen mangelfreien Willen.2.

Aus dieser Problematik heraus entwickelten sich im 19. Jahrhundert zwei Theorien, die jeweils die eine bzw. andere Seite der dargestellten Problempositionen einnahmen.

Karl Friedrich von Savigny hielt im Rahmen der von ihm begründeten bzw. geprägten Willenstheorie „den Willen an sich als das einzig Wichtige und Wirksame“3. Die Erklärung sei lediglich das Instrument, mit dem der Wille nach Außen getragen werden könne. Fallen Wille und Erklärung auseinander, so solle, im Falle eines Irrtums des Erklärenden, dieser „frey von jeder Verbindlichkeit [bleiben]“ und „die rechtlichen Folgen [...] nicht eintreten können“4.

Die Vertreter der Erklärungstheorie, wie Erich Danz, gingen hingegen davon aus, dass „die innere Absicht für den rechtlichen Erfolg, den die Erklärung, also z.B. das Aussprechen der Worte, nach sich zieht, in der Regel ganz gleichgültig ist.“5

Mit Einführung des BGB wurde dieser historische Streit zu einem Kompromiss aufgelöst, indem die Anfechtung als Gestaltungsrecht ausgestaltet wurde und der Kreis der relevanten Willensmängel bzw. Irrtümer eingeschränkt wurde. Nur bei einem unbewussten Auseinanderfallen von innerem Willen und äußerer Erklärung entsteht eine Situation, die nicht ipso iure zur Nichtigkeit der Erklärung führt, sondern dem Erklärenden mit der Anfechtung ein Instrument in die Hand legt, mit dem er sich der Erklärung entledigen kann.6

II. Überblick über die Systematik der Anfechtung

Dem- und der Regelungstechnik der Gestaltungsrechte entsprechend bedarf es zur Anfechtung grundsätzlich einer Willenserklärung, die gegenüber dem Gegner innerhalb einer gewissen Frist abzugeben ist sowie eines Anfechtungsgrundes.

§ 119 BGB stellt hierbei lediglich drei Anfechtungsgründe zur Verfügung – den Erklärungsirrtum, den Inhaltsirrtum und den Eigenschaftsirrtum. Weitere Anfechtungsgründe finden sich in den §§ 120, 123 BGB. § 142 BGB regelt die Wirkungen der Anfechtung im Hinblick auf die angefochtene Erklärung, § 143 BGB enthält Regelungen zur Erklärung und zum Gegner der Anfechtung. Die §§ 121, 124 BGB regeln, innerhalb welcher Frist die Anfechtung zu erfolgen hat. § 122 BGB räumt dem Anfechtungsgegner schließlich einen Schadensersatzanspruch gegen den Anfechtenden ein, der ihn vor den wirtschaftlichen Folgen der Anfechtung schützen soll. Dieser ist jedoch begrenzt auf den Vertrauensschaden bzw. das sogenannte negative Interesse.

  • 1. Bamberger/Roth/Wendtland § 119 Rn. 1.
  • 2. Medicus AT Rn. 737.
  • 3. Savigny, System III, S. 258.
  • 4. Savigny, System III, S. 264.
  • 5. Danz, Auslegung, S. 31.
  • 6. Staudinger/Singer § 119 Rn. 2; MüKo-BGB/Armbrüster § 119 Rn. 1; Bamberger/Roth/Wendtland § 119 Rn. 2.