Täterschaft und Teilnahme

Mittelbare Täterschaft - §25 I Alt. 2 StGB

Bei der mittelbaren Täterschaft bedient sich jemand einer anderen Person, um "durch" diese eine Straftat zu begehen. Die Tat des sogenannten Tatmittlers, also der anderen Person, wird bei der mittelbaren Täterschaft dem Hintermann (jemand) zugerechnet.

Beispiel Der Arzt A (Hintermann) gibt der ahnungslosen Krankenschwester (Tatmittlerin) eine mit Gift gefüllte Spritze, die sie einem Patienten verabreichen soll.

Das entscheidene Element ist die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unterlegene Stellung des Tatmittlers, also desjenigen, durch den die Tat begangen wird (im Beispiel die Krankenschwester), sowie die das Gesamtgeschehen in den Händen haltende Rolle des Hintermannes (im Beispiel die des Arztes), der durch seinen Willen das Geschehen lenkt und in der Hand hält1.

 

Voraussetzungen sind also:

  • Strafbarkeitsmangel beim Tatmittler
  • Tatherrschaft bzw. animus auctoris (siehe §§25ff. - Vorbemerkung) des Hintermanns

 

Ein Strafbarkeitsmangel kommt dann in Betracht wenn,

  • das Werkzeug objektiv tatbestandslos handelt (Selbstverletzung, Selbsttötung)2
  • das Werkzeug subjektiv tatbestandslos handelt, weil es im Irrtum ist (siehe Bsp. oben), weil weitere subjektive Merkmale (z.B. die Zueignungsabsicht, §242 StGB) fehlen oder der Vorsatz des Werkzeugs nicht auf das verwirklichte Delikt abzielt, sondern allenfalls auf ein minderschweres.
  • das Werkzeug rechtmäßig handelt
  • das Werkzeug schuldlos handelt3

Der Hintermann muss Tatherrschaft haben. Diese kann sich durch überlegenes Wissen oder/und durch überlegenes Wollen manifestieren4.

 

Tatherrschaft durch überlegenes Wissen

Eindeutige Fälle, in denen der Hintermann überlegenes Wissen besitzt, sind Fälle in denen das Werkzeug objektiv tatbestandslos handelt Sirius-Fall, keinen Vorsatz aufweist (Bsp. oben) oder rechtmäßig handelt. Beim oben genannten Beispiel würde sich also folgender Prüfungsaufbau ergeben:

A. Strafbarkeit der Krankenschwester gem. §212 I StGB
  • I. Tatbestand
    • 1. Objektiver Tatbestand
      • a. Erfolg - Patient tot - (+)
      • b. Handlung - Spritze geben - (+)
      • c. Kausalität - Keine Spritze -> kein Tod - (+)
      • d. Objektive Zurechnung (+)
    • 2. Subjektiver Tatbestand - Vorsatz - (-)
  • II. Ergebnis (-)


B. Strafbarkeit des Arztes gem. §§25, 212 I StGB
  • I. Tatbestand
    • 1. Objektiver Tatbestand
      • a. Deliktspezifische Merkmale bezogen auf A (+)
      • b. Tathandlung - Zurechnung der fremden Handlung Subjektive Theorie vs. Tatherrschaft - Er wusste um das Gift in der Spritze (+)
    • 2. Subjektiver Tatbestand - Vorsatz a./b. (+)
  • II. Rechtswidrigkeit (+)
  • III. Schuldhaftigkeit (+)
  • IV. Ergebnis - Strafbarkeit (+)



a) Mittelbare Täterschaft bei Schuldlosen

In anderen Fällen ist dies jedoch nicht so eindeutig. Zum Beispiel bei schuldlos handelnden Werkzeugen, die bspw. über einen Notstand (§35 StGB) entschuldigt oder als Kinder noch nicht strafmündig sind (§19 StGB), liegt trotzdem regelmäßig eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat vor. Hierzu kann, nach den Grundsätzen der limitierten Akzessorietät, angestiftet werden. Hier ist eine Abgrenzung zwischen Anstiftung und Mittelbarer Täterschaft notwendig.

Akzessorietät Akzessorietät meint generell die Abhängigkeit eines Rechtes von einem anderen Recht. Die limitierte Akzessorietät im Strafrecht bedeutet insofern, dass sich die Strafbarkeit eines vermeintlichen Teilnehmers danach richtet, ob ein anderer eine Straftat begangen hat, zu derer der Teilnehmer ihn bestimmt oder ihm Beihilfe geleistet hat. Limitiert ist sie deshalb, weil es hierbei nicht auf die Schuldhaftigkeit des anderen ankommt, sondern allein auf dessen vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat.

Es soll hierbei nach der Art der Schuldunfähigkeit bzw. des Entschuldigungsgrundes unterschieden werden5:

a) Zu einer Tat, die durch ein Kind, das gem. §19 StGB schuldunfähig ist, begangen wurde, kann angestiftet werden, auch kann eine mittelbare Täterschaft möglich sein. Wonach sich dies richtet ist umstritten: I. Eine Meinung will eine Person, die ein Kind oder einen Geistekranken zu einer Straftat veranlasst immer als mittelbaren Täter werten6. II. Eine andere Meinung differenziert danach, ob das Kind oder der Geistekranke einen eigenen Willen bilden und entfalten könne (dann Anstiftung) oder nach Belieben des Veranlassers bewegt werde7.

Mittelbare Täterschaft ist jedenfalls immer dann anzunehmen, wenn der Hintermann die Schuldunfähigkeit oder die Gründe für das Entfallen der Schuldhaftigkeit des Tatmittlers kennt8.
b) Mittelbare Täterschaft bei Selbstverletzung & Selbsttötung

Geht es um eine Selbsttötung oder Selbstverletzung ist zwischen einer eventuell straflosen Anstiftung und einer mittelbaren Täterschaft zu unterscheiden.

Hierbei kommt es maßgeblich auf die Freiheit der Willensentscheidung des Opfers an. Handelt dieses freiverantwortlich handelt es sich um eine (straflose) Anstiftung. Nimmt der Täter aber dergestalt Einfluss auf das Opfer, dass sich dieses als unfrei handelndes Werkzeug in der Hand des Täters befindet und somit keiner freiverantwortliche Willensentscheidung bilden kann, so wird eine Fremdtötung in mittelbarer Täterschaft bejaht9.

Wann das Opfer einer Selbsttötung freiverantwortlich handelt und wann es dies nicht mehr tut, ist umstritten:

I. Eine Ansicht stellt auf die Entschuldigungsgründe bzw. auf die Schuldunfähigkeit ab. Fragt also, ob das Opfer, wenn es nicht sich selbst, sondern einen Dritten getötet hätte, unter gleich bleibenden Umständen schuldhaft gehandelt hätte oder ob das Opfer entschuldigt (§35) wäre10.

II. Eine andere Ansicht zieht die Regeln der rechtfertigenden Einwilligung heran11. Danach müsste das Opfer nach seiner geistigen und sittlichen Reife im Stande sein, Bedeutung und Tragweite der Schädigung zu erkennen ohne an erkennbaren Willensmängeln (Irrtümer) zu leiden12.

III. BGH bejaht eine mittelbare Täterschaft unter folgender Voraussetzung: »Verschleiert er [der Täter] dem sich ans Leben Gehenden die Tatsache, dass er eine Ursache für den eigenen Tod setzt, ist derjenige, der den Irrtum hervorgerufen und mit Hilfe des Irrtums das Geschehen, das zum Tod des Getäuschten führt oder führen soll, bewusst und gewollt ausgelöst hat, Täter eines (versuchten oder vollendeten) Tötungsdelikts kraft überlegenen Wissens, durch das er den Irrenden lenkt, zum Werkzeug gegen sich selbst macht«13.

c) Mittelbare Täterschaft beim vermeidbaren Verbotsirrtum Abgrenzungsprobleme bereitet auch die Frage, ob bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum des Tatmittlers mittelbare Täterschaft oder Anstiftung zu bejahen ist. Stichwort ist hier der "Täter hinter dem Täter". Dazu folgender Fall:

(Katzenkönig-Fall - BGHSt 35, 347) - Auszug: Der Sachverhalt: Nach den Feststellungen lebten die Angeklagten in einem von "Mystizismus, Scheinerkenntnis und Irrglauben" geprägten "neurotischen Beziehungsgeflecht" zusammen. Der Angeklagten H. gelang es im bewußten Zusammenwirken mit P., dem leicht beeinflußbaren Angeklagten R. zunächst die Bedrohung ihrer Person durch Zuhälter und Gangster mit Erfolg vorzugaukeln und ihn in eine Beschützerrolle zu drängen. Später brachten beide ihn durch schauspielerische Tricks, Vorspiegeln hypnotischer und hellseherischer Fähigkeiten und die Vornahme mystischer Kulthandlungen dazu, an die Existenz des "Katzenkönigs", der seit Jahrtausenden das Böse verkörpere und die Welt bedrohe, zu glauben; R. - in seiner Kritikfähigkeit eingeschränkt, aber auch aus Liebe zu Barbara H. darum bemüht, ihr zu glauben - wähnte sich schließlich auserkoren, gemeinsam mit den beiden anderen den Kampf gegen den "Katzenkönig" aufzunehmen. Auf Geheiß mußte er Mutproben bestehen, sich katholisch taufen lassen, Barbara H. ewige Treue schwören; so wurde er von ihr und P. zunächst als Werkzeug für den eigenen Spaß benutzt. Als die Angeklagte H. Mitte des Jahres 1986 von der Heirat ihres früheren Freundes Udo N. erfuhr, entschloß sie sich aus Haß und Eifersucht, dessen Frau (Annemarie N.) von R. - unter Ausnutzung seines Aberglaubens - töten zu lassen. In stillschweigendem Einverständnis mit P., der - wie sie wußte - seinen Nebenbuhler loswerden wollte, spiegelte die Angeklagte H. dem R. vor, wegen der vielen von ihm begangenen Fehler verlange der "Katzenkönig" ein Menschenopfer in der Gestalt der Frau N.; falls er die Tat nicht binnen einer kurzen Frist vollende, müsse er sie verlassen, und die Menschheit oder Millionen von Menschen würden vom "Katzenkönig" vernichtet. R., der erkannte, daß das Mord sei, suchte auch unter Berufung auf das fünfte Gebot vergeblich nach einem Ausweg. H. und P. wiesen stets darauf hin, daß das Tötungsverbot für sie nicht gelte, "da es ein göttlicher Auftrag sei und sie die Menschheit zu retten hätten". Nachdem er Barbara H. "unter Berufung auf Jesus" hatte schwören müssen, einen Menschen zu töten, und sie ihn darauf hingewiesen hatte, daß bei Bruch des Schwurs seine "unsterbliche Seele auf Ewigkeit verflucht" sei, war er schließlich zur Tat entschlossen. Ihn plagten Gewissensbisse, er wog jedoch die "Gefahr für Millionen Menschen ab", die er "durch das Opfern von Frau N." retten könne. Am späten Abend des 30. Juli 1986 suchte R. Frau N. in ihrem Blumenladen unter dem Vorwand auf, Rosen kaufen zu wollen. Entsprechend dem ihm von P. - im Einverständnis mit Barbara H. - gegebenen Rat stach R. mit einem ihm zu diesem Zweck von P. überlassenen Fahrtenmesser hinterrücks der ahnungs- und wehrlosen Frau N. in den Hals, das Gesicht und den Körper, um sie zu töten. Als dritte Personen der sich nun verzweifelt wehrenden Frau zu Hilfe eilten, ließ R. von weiterer Tatausführung ab, um entsprechend seinem "Auftrag" unerkannt fliehen zu können; dabei rechnete er mit dem Tod seines Opfers, der jedoch ausblieb.

I. Der BGH bejaht in BGHSt 35, 347 mit vorherigem Verweis auf BGHSt 32,38 (Siehe oben Sirius-Fall) eine mittelbare Täterschaft: Mittelbarer Täter eines Tötungs- oder versuchten Tötungsdelikts ist jedenfalls derjenige, der mit Hilfe des von ihm bewußt hervorgerufenen Irrtums das Geschehen gewollt auslöst und steuert, so daß der Irrende bei wertender Betrachtung als ein - wenn auch (noch) schuldhaft handelndes - Werkzeug anzusehen ist.

II. Eine andere Ansicht stellt wiederum auf das Verantwortungsprinzip ab, nach dem die Täterschaft des Vordermanns dann endet, wenn die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Tatmittlers beginnt14.

III. Eine dritte Ansicht fragt nach der Art des Verbotsirrtums. Ist dieser rechtsfeindlicher Natur, kommt eine Anstiftung in Betracht. Kommt der Täter zum vermeidbaren Verbotsirrtum durch Wahnvorstellungen oder Rechtsblindheit, so ist eine Tatherrschaft des Hintermanns zu bejahen15.

d) Absichtlos-doloses Werkzeug Bei einem absichtlos-dolosen Werkzeug handelt sich um einen Tatmittler dem die für die Tat spezielle subjektive Voraussetzung, wie etwa der Zueignungsabsicht beim Diebstahl fehlt. Weiß das Werkzeug um die Zueignungsabsicht des Hintermannes kommt nur eine Anstiftung in Betracht, weiß es hingegen nicht darum ist beim Hintermann mittelbare Täterschaft anzunehmen16.

e) Qualifikationlos-doloses Werkzeug Das qualifikationslos-doloses Werkzeug besitzt im Gegensatz zum Hintermann nicht den im Tatbestand eines echten Sonderdelikts (vgl. §§331, 332, 339, 344, 348) Sonderstatus des Tatsubjekts. Das Tatsubjekt, das nicht Amtsträger und auch kein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter ist, kann sich nicht wegen Bestechlichkeit (§332 I) strafbar machen, da bereits der objektive Tatbestand entfallen würde. Somit käme hier auch keine Anstiftung zur Bestechlichkeit in Betracht, da es an einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Tat mangelt. Es geht also nicht um die Abgrenzung zwischen Anstiftung und mittelbarer Täterschaft sondern um die Frage, ob das Verhalten des Nicht-Amtsträgers dem Amtsträger zugerechnet werden kann. Dies ist umstritten:

I. Die subjektive Theorie (siehe §§25ff. Vorbemerkung), fragt nach dem Willen des Hintermannes und würde eine mittelbare Täterschaft bejahen, wenn dieser die Tat als eigene wollen würde.

II. Eine andere Meinung ist der Auffassung, dass die Stellung des Amtsträgers noch keine Tatherrschaft begründe17

III. Eine weitere Auffassung nimmt eine Unterlassung an (der Amtsträger habe die Bestechung nicht verhindert...)18.

IV. Die vierte Ansicht stellt auf eine normative, also wertende, Betrachtung ab19.

V. Roxin hingegen will bei diesen Delikten den Hintermann direkt als Täter werten. Er begründet dies mit einer Pflichtverletzung des mit einem Sonderstatus ausgezeichneten Tatsubjekts, die allein ausreiche, um Täter zu sein20.

f) Unrechtsquantifizierung & Unrechtsqualifizierung Um eine Unrechtsquantifizierung handelt es sich, wenn bspw. der Wert eines beschädigten Gegenstandes in Wahrheit wesentlich größer ist als der Wert, der vom Hintermann dem Ausführenden vorgespielt wurde. Um eine Unrechtsqualifizierung handelt es sich, wenn statt eines einfachen Delikts eine Qualifikation greift und der Hintermann dies wusste bzw. erwartete (schwere statt einfache Körperverletzung)21.

Ob hier eine Tatherrschaft des Hintermanns bejaht werden kann ist umstritten:

I. Eine Ansicht lehnt Tatherrschaft ab.

II. Eine andere Ansicht bejaht Tatherrschaft, da der Hintermann, um die Qualifikation bzw. Quantifizierung weiß.

III. Eine weitere Ansicht lehnt in Fällen der Quantifizierung eine Tatherrschaft ab. Im Fall der Qualifikation sei der Hintermann Anstifter zum einfachen Delikt und mittelbarer Täter des qualifizierten Delikts. 22

g) Manipulierter Error in Persona

W liegt mit T auf der Lauer und will O töten. Davon weiß der T. Als der O2, Erbonkel des T, vorbei kommt, redet der T dem W ein, dass es sich hierbei um den O handle. W drückt ab und erschießt O2.

W unterliegt einem Error in Persona, der für seine Strafbarkeit jedoch unbeachtlich ist, da es sich um gleichwertige Tatobjekte handelt. Fraglich ist jedoch, ob das Verhalten des T als mittelbare Täterschaft zu werten ist.

I. Die erste Ansicht bejaht eine mittelbare Täterschaft23.

II. Die zweite Ansicht verneint eine mittelbare Täterschaft (wodurch eine Strafbarkeitslücke auftreten würde: Eine Anstiftung kommt wegen eines bereits entschlossenen Täters (omnimodo facturus) nicht in Betracht, eine Beihilfehandlung scheidet auch aus)24.

Tatherrschaft kraft überlegenen Wollens

Der T richtet eine Pistole auf den W und droht ihn zu erschießen, wenn der W nicht den O töte

Ohne Zweifel ist bei der Tat des W ein entschuldigender Notstand (§35 StGB )zu bejahen. Diesen hat der T verursacht womit nach dem Verantwortungsprinzip eine mittelbare Täterschaft zu bejahen ist. Was ist aber in Fällen in denen der Hintermann den Notstand nicht verursacht, sondern ihn nur ausnutzt, oder in Fällen in denen der ausgeübte Druck auf den Vordermann nicht für eine Bejahung des entschuldigenden Notstands ausreicht: Kein entschuldigender Notstand25

I. Eine Meinung will hier unter Bezugnahme auf das Verantwortungsprinzip eine Anstiftung bejahen jedoch keine mittelbare Täterschaft, wenn der ausgeübte Druck nicht für einen entschuldigenden Notstand ausreicht.

II. Eine andere Meinung will im Grenzbereich der Entschuldigungsgründe mittelbare Täterschaft bejahen.

Es erscheint fraglich, ob man dem Vordermann Tatherrschaft zusprechen kann, obwohl der Tatmittler voll verantwortlich handelt. Weiterhin verwischt die zweite Meinung die Grenzen der Tatherrschaft und führt zur Beliebigkeit. Muss die Notlage durch den Hintermann geschaffen werden? I. Eine Ansicht bejaht mittelbare Täterschaft bei Ausnutzung einer Notlage II. Die andere Ansicht sieht darin lediglich Anstiftung oder Beihilfe zur Notstandstat

(III. Eine Strafmilderung will Roxin in den Fällen erkennen, wenn ein Außenstehender nur den Rat zur Notstandshandlung gibt und der Außenstehende selbst nichts mit der Beseitigung der Notstandslage zu tun hat)

Tatherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate

Von einer Tatherrschaft kraft organisatorischer Machtapparate spricht man, wenn staatliche Machtbefugnisse dazu mißbraucht werden (NS-Verbrechen, Mauerschützenfälle) oder es sich um der Mafia ähnliche Strukturen handelt, wobei es sich auch um unternehmerische Strukturen handeln kann. Entscheidend ist, dass der als Hintermann fungierende Befehlsgeber das Gesamtgeschehen kraft seiner Organisationsherrschaft bedingungslos lenken kann und der Vordermann quasi beliebig austauschbar ist26.

Fazit: Wenn der Vordermann vorsätzlich sich eines Werkzeugs bedient, das nicht den objektiven oder subjektiven Tatbestand vollständig realisiert, nicht rechtswidrig oder nicht schuldhaft handelt, um so eine Vorsatztat zu begehen, ist meistens mittelbare Täterschaft anzunehmen27.

Irrtümer28

a) Der Hintermann irrt über über die Schuldhaftigkeit des Tatmittlers:

  1. Der Hintermann glaubt, dass das Werkzeug schuldhaft handelt, wobei es tatsächlich nicht schuldfähig oder entschuldigt ist. Der Hintermann hat somit keinen Tatherrschaftsvorsatz sondern allein einen Anstiftervorsatz und ist somit nur wegen Anstiftung strafbar.
  2. Der Hintermann glaubt an die Schuldlosigkeit des Tatmittlers, obwohl es voll schudhaft gehandelt hat: Nach der subjektiven Theorie der Rspr. wäre mittelbare Täterschaft zu bejahen, jedoch nach der Tatherrschaftslehre objekitv eine Anstiftung.

b) Der Hintermann geht davon aus, dass der Ausführende mit Tatbestandsvorsatz handelt, obwohl er tatsächlich keinen Vorsatz hat: hier handelt der Hintermann nur mit Anstiftervorsatz, eine vollendete Anstiftung kommt aber nicht Betracht, da es an einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat mangelt. In Frage kommt daher allenfalls eine versuchte Anstiftung.

c) Der Hintermann geht davon aus, dass der Ausführende ohne Tatbestandsvorsatz handelt, obwohl er diesen besitzt. Im ersten Beispiel würde die Krankenschwester um das Gift in der Spritze wissen. Die Behandlung eines solchen Falls ist umstritten:

I. Nach der Rechtssprechung würde der Hintermann als mittelbarer Teilnehmer zu bestrafen sein. Grundlage bildet erneut die Subjektive Theorie: Der Arzt im abgewandelten Beispiel besitzt nichts desto trotz Täterwillen (animus auctoris).

II. Die Tatherrschaftslehre hingegen würde zu dem Schluss kommen, dass nicht mehr der Arzt sondern nun die Krankenschwester den Geschehensablauf in den Händen hält. Demnach besitzt der Arzt bloß eine vorgestellte Tatherrschaft jedoch keineswegs eine tatsächliche. Vom objektiven Gesichtspunkt kommt nur eine Anstiftung in Betracht, wobei jedoch problematisch ist, dass der Hintermann keinen Anstiftervorsatz besitzt. Dieser soll jedoch durch den wesentlich schwerer wiegenden Tatherrschaftswillen ersetzt werden, sodass eine vollendete Anstiftung zu bejahen ist.

d) Ein aberratio ictus des Tatmittlers wirkt sich auf den Hintermann nach h.L. auch wie eine aberratio ictus aus. Eine andere Ansicht stellt darauf ab, ob der Hintermann die Individualisierung des Tatopfers dem Tatmittler überlassen hat. Hat er sie dem Tatmittler überlassen, dann muss er sich dies zurechnen lassen (error in persona!), außer der Verlauf ist vollkommen atypisch. Hat er sie dem Tatmittler nicht überlassen, greifen die Regeln der aberratio ictus. ---------------------------------------------------------------------

  1. vgl. Wessels/Beulke Rdn. 535
  2. siehe dazu Sirius-Fall: BGHSt 32,38
  3. vgl. Wessels/Beulke Rdn. 537
  4. vgl. Joecks §25 Rdn. 19
  5. vgl. Joecks §25 Rdn. 29
  6. LK-Schünemann §25 Rdn. 113
  7. Schmidhäuser AT §14 Rdn. 48
  8. vgl. Wessels/Beulke Rdn. 538
  9. vgl. Wessels/Beulke Rdn. 539
  10. LK-Schünemann §25 Rdn. 69
  11. vgl. Wessels/Hettinger BT I Rdn. 48
  12. vgl. Wessels/Beulke Rdn. 374ff.
  13. BGHSt 32,38 in JA 2007, 730 | Direktlink zum Urteil und zur Besprechung in der JA
  14. Jescheck/Weigend §62 II 5
  15. LK-Schünemann §25 Rdn. 89
  16. Joecks §25 Rdn. 26
  17. Stratenwerth/Kuhlen §12 Rdn. 40
  18. Schmidhäuser AT §14 Rdn. 51
  19. Lackner/Kühl §25 Rdn. 4
  20. Roxin AT II §25 Rdn. 275ff.
  21. vgl. Joecks §25 Rdn. 39
  22. a.a.O. Fn. 21
  23. Roxin AT II §25 Rdn. 102ff.
  24. Gropp §10 Rdn. 54
  25. nach Joecks §25 Rdn. 42ff.
  26. Wessels/Beulke Rdn. 541
  27. Wessels/Beulke Rdn. 540
  28. nach Wessels/Beulke Rdn. 546ff.