C. Das fahrlässige unechte Unterlassungsdelikt

Auch fahrlässige Erfolgsdelikte können unter den Voraussetzungen des § 13 StGB durch ein Unterlassen begangen werden.1

Zur Verdeutlichung ist folgendes Beispiel zu nennen: Die Mutter verlässt nach dem Rauchen die Wohnung und hinterlässt ihr Kind, ohne vorher zu kontrollieren, ob die Zigarette auch wirklich gelöscht ist. Durch einen sich entwickelnden Brand, verstirbt das Kind.

Nach der Schwerpunktformel wird hier eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen angenommen (§§ 222, 13 StGB). Das Verlassen der Wohnung ist zwar ein Tun, aber gemeinhin unschädlich. Entscheidend ist, dass die Mutter es unterlässt, für entsprechende Aufsicht zu sorgen, oder sicherzustellen, dass die Zigarette nicht mehr glimmt.2

Der Tatbestand setzt sich aus dem objektiven Tatbestand des vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikts und dem Tatbestand des fahrlässigen Begehungsdelikt zusammen.3 Rechtswidrigkeit, Schuldhaftigkeit, persönliche Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründe sowie Prozessvoraussetzungen ereignen sich wie beim fahrlässigen Begehungsdelikt. Es ergibt sich folgendes Prüfungsschema:4

  • I. Tatbestandsmäßigkeit
    • 1. Tatbestandsmäßige Situation: Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale
      eines fahrlässigen Erfolgsdelikts
    • 2. Unterlassung einer geeigneten und erforderlichen Verhinderungshandlung
      trotz physisch-realer individueller Handlungsmöglichkeit
    • 3. Hypothetische Kausalität
    • 4. Garantenstellung gemäß § 13 StGB
    • 5. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
    • 6. Objektive Zurechnung
      • a) Objektive Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs und Erfolgseintritts
      • b) Pflichtwidrigkeitszusammenhang
      • c) Schutzzweckzusammenhang
      • d) Abgrenzung von Verantwortungsbereichen
  • II. Rechtswidrigkeit
  • III. Schuldhaftigkeit


Die ersten Prüfungspunkte sind mit dem objektiven Tatbestand des vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikts identisch. Wird eine Garantenpflicht festgestellt und wird diese nicht erfüllt, liegt bereits eine Pflichtverletzung vor.5
Auch wenn Garantenpflicht und Sorgfaltspflicht häufig zusammenfallen, muss die Verletzung der Sorgfaltspflicht wie beim fahrlässigen Begehungsdelikt geprüft werden.6 Die erforderliche Vorhersehbarkeit des Erfolges muss sich dann auf die Erkennbarkeit der Handlungsmöglichkeit und auf die Garantenpflicht beziehen.7 An dieser Stelle sei abermals auf die allgemeinen Grundsätze über die Sorgfaltspflichtverletzung eines fahrlässigen Begehungsdelikts zu verweisen.

Die objektive Zurechnung im Rahmen des fahrlässigen unechten Unterlassungsdelikts ist wie bei den fahrlässigen Begehungsdelikten zu prüfen. Erforderlich ist demnach ein Pflichtwidrigkeits- und Schutzzweckzusammenhang bezogen auf das pflichtwidrige Unterlassen.8 Die Pflichtwidrigkeit des Unterlassens muss sich also im Erfolg niederschlagen, erst dann kann de Erfolg dem Garanten zugerechnet werden. Wäre der Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten, ist eine Zurechnung abzulehnen, da der Erfolg nicht auf die Pflichtwidrigkeit zurückzuführen ist.9 Darüber hinaus gelten auch die allgemeinen Kriterien der objektiven Zurechnung.10

  • 1. Rengier, Strafrecht AT, § 54, Rn. 1, Kühl, Strafrecht AT, § 19, Rn. 1.
  • 2. BGH NStZ 2005, 446, (447); BGH NStZ 1999, 607.; Kühl, Strafrecht AT, § 19, Rn. 1.
  • 3. Kühl, Strafrecht AT, § 19, Rn. 3
  • 4. Rengier, Strafrecht AT, § 54, Rn. 2.; Kühl, Strafrecht AT, § 19, Rn. 3ff.
  • 5. Kühl, Strafrecht AT, § 19, Rn. 3.
  • 6. Hohmann/Matt, Jura 1990, 544 (550).
  • 7. Kühl, Strafrecht AT, § 19, Rn. 4
  • 8. Kühl, Strafrecht AT, § 19, Rn.4a.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, § 20, Rn. 877.
  • 9. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, § 16, Rn. 713.
  • 10. Kühl, Strafrecht AT, § 19, Rn. 6.