Kommt ein Strafbarkeit des Dritten durch Unterlassen trotz strafloser Teilnahme an der Selbsttötung in Betracht? - Teil 2

Überblick

Im Rahmen der eigenverantwortlichen Selbsttötung stellt sich als nächstes die Frage, ob und inwieweit sich der straflose Teilnehmer am Suizid dann aber wegen eines Unterlassungsdelikts strafbar machen kann.1 Man denke an die Situation, in der der Suizident eigenverantwortlich sich selbst lebensbeendende Mittel verabreicht. Ist derjenige, der ihm die Mittel besorgt hat, zwar mangels Haupttat – weil eigenverantwortlicher Suizid, über dessen Verlauf der Suizident auch Tatherrschaft hat – nicht als Teilnehmer strafbar, aber als Unterlassungstäter, wenn er dem Suizidenten gleich nach der Einnahme nicht hilft? In Betracht kommen hier Tötungsdelikte durch Unterlassen wie §§ 212, 211, 12; 216, 13; 222, 13 StGB sowie die §§ 221 I Nr. 2, 323c StGB.2 Über diese Frage besteht zwischen Rechtsprechung und Literatur Uneinigkeit. Dieser Streit betrifft dabei ausschließlich die Situation, in welcher sich der Suizident eigenverantwortlich für die Selbsttötung entscheidet.3 Dabei ist der Meinungsstreit danach zu unterteilen, ob es sich um echte (§§ 211, 212, 216, 222, 13 StGB) oder unechte Unterlassungsdelikte (§§, 221, 323c) handelt.


Die Auffassungen und ihre Argumente (echte Unterlassungsdelikte):

Der Streit dreht sich insbesondere darum, ob sich der straflose Teilnehmer im Anschluss an den Selbsttötungsversuch wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB strafbar machen kann.


1. Ansicht - Eine Strafbarkeit des straflosen Teilnehmers am Suizid aus § 323c StGB scheidet aus.4

Argumente für diese Ansicht

Wortlaut „Unglücksfall“

Bereits dem Wortlaut nach stellt die freiverantwortliche Selbsttötung begriffsnotwendig schon keinen Unglücksfall iSd. § 323c StGB dar, da es sich insoweit um einen geplanten, vom Suizidenten freiverantwortlich herbeigeführten Zustand handelt.5 Nach dieser Ansicht wird der Unglücksfall aus Sicht des betreffenden Dritten her beurteilt.

Nichtbeachtung des Willen des Suizidenten nicht plausibel.

Es erscheint nicht plausibel die freiverantwortliche Willensentscheidung des Suizidenten im Rahmen des § 323c StGB nicht zu berücksichtigen, obwohl durch sie die vorgelagerte aktive Teilnahme an der Selbsttötung straffrei bleibt.6

Keine Gefahrenabwehr gegen den Willen des Suizidenten.

Auch für die unterlassene Hilfeleistung muss gelten, dass die Strafrechtsordnung niemanden zur Gefahrenabwehr gegen den Willen des verantwortlichen Individuums zwingen kann.7

2. Ansicht - Der straflose Teilnehmer am Suizid kann sich auch nach § 323c StGB strafbar machen.8

Argumente für diese Ansicht

Wille des Suizidenten unbeachtlich.

In diesem Zusammenhang und für die Beurteilung, ob ein Unglücksfall vorliegt, ist der Wille des Suizidenten nicht zu beachten.9

Praktische Abgrenzungsschwierigkeiten

Der Lebensschutz, der durch die Handlungspflicht des § 323c StGB erreicht werden soll, kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob es sich um eine freiverantwortliche oder auf Willensmängeln beruhende Selbsttötung handelt. Dies wird mit der kurzen Zeitspanne, die zur Verfügung steht, sowie mit den dafür nötigen psychiatrisch-psychologischen Fachkenntnissen begründet, über die nicht jeder verfügt. Zudem erfordert die Feststellung eine sorgfältige Abklärung der äußeren und inneren Motivationsfaktoren.10 Daraus resultiert insbesondere die Gefahr, dass die Hilfe in nur vermeintlich freien Selbsttötungen zu spät kommt.11

Beurteilung des „Unglücksfalls“ aus Sicht der Gesellschaft.12 Kein entgegenstehender Wortlaut.

Ob ein Unglücksfall und damit die Hilfsbedürftigkeit des Suizidenten vorliegt, beurteilt sich nach der Auffassung eines Außenstehenden, der zur Hilfe aufgerufen wurde. Dieser vermag aber nicht beurteilen zu können, ob es sich um eine freie oder unfreie Selbsttötung handelt.13

Gedanke der Unverfügbarkeit des Lebens strahlt auf § 323c StGB aus14

Suizid stellt sich häufig als Hilferuf des Suizidenten dar.

Der Suizidversuch weist häufig Appellcharakter in der Art auf, dass er als Hilferuf an bestimmte Bezugspersonen oder das allgemeine Umfeld zu deuten ist.15

  • 1. Rengier, BT II, § 8, Rn. 11, Aufl. 13.
  • 2. Rengier, BT II, § 8, Rn. 11, Aufl. 13.
  • 3. Kindhäuser, LPK-StGB, vor §§ 211-222, Rn. 30, Aufl. 6.
  • 4. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, StGB, § 323c, Rn. 8, Aufl. 29; MüKo/Schneider, vor § 211, Rn. 84, Aufl. 2; Lackner/Kühl, StGB, § 323c, Rn. 2, Aufl. 28.
  • 5. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, StGB, § 323c, Rn. 8, Aufl. 29.; m.w.N.: Lackner/Kühl, StGB, § 323c, Rn. 2, Aufl. 28.; MüKo/Schneider, vor § 211, Rn. 84, Aufl. 2.
  • 6. MüKo/Schneider, vor § 211, Rn. 84, Aufl. 2.
  • 7. MüKo/Schneider, vor § 211, Rn. 84, Aufl. 2.
  • 8. Rengier, BT II; § 8, Rn. 19, Aufl. 13.; BGHSt 32, 367 (375).; Wessels/Hettinger, BT I, 3 1, Rn. 60, Aufl. 34.
  • 9. BGHSt 32, 367 (375).; BGHSt 6, 147 (153).
  • 10. BGHSt 32, 367 (375).; m.m.N.: Rengier, BT II, § 8, Rn. 19, Aufl. 13.
  • 11. Rengier, BT II, § 8, Rn. 19, Aufl. 13.
  • 12. Rengier, BT II, § 8, Rn. 19, Aufl. 13.
  • 13. Wessels/Hettinger, BT I, 3 1, Rn. 60, Aufl. 34.
  • 14. Rengier, BT II, § 8, Rn. 19, Aufl. 13.
  • 15. Wessels/Hettinger, BT I, § 1, Rn. 60, Aufl. 34.

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