Umstritten ist, ob dem Bundespräsidenten ein materielles Prüfungsrecht vor der Gesetzesausfertigung zusteht? (Art. 82 GG)

Überblick

Hat der Bundespräsident in seiner Funktion als Staatsoberhaupt ein umfassendes materielles Prüfungsrecht? Eine Ansicht vertritt genau diese Ansicht, eine andere hält dem die Funktion des Bundespräsidenten und damit verbunden ein formelles Prüfungsrecht entgegen, eine weitere Ansicht geht davon aus, dass er nur in Sonderfällen ein materielles Prüfungsrecht hat.

Die Meinungen und ihre Argumente

1. Ansicht - Umfassendes Prüfungsrecht1

Nach dieser Ansicht steht dem Bundespräsidenten ein umfassendes Prüfungsrecht zu. Er darf und muss die Ausfertigung eines Gesetzes verweigern, wenn es materiell-rechtlich nach verfassungswidrig ist.

Argumente für diese Ansicht

Wortlaut Art. 82 I GG

Dem Wortlaut des Art. 82 I GG nach wird das Prüfungsrecht nicht eingeschränkt, aus der Formulierung „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes“ geht hervor, dass für das Zustandekommen eines Gesetzes auch die inhaltliche Prüfung ausschlaggebend ist.

Historische Basis

Der Art. 82 I GG knüpft an den Art. 70 der WRV an. Dort war das umfassende Prüfungsrecht für den Reichspräsidenten anerkannt, nicht anders verhält es sich beim Bundespräsidenten.

Amtseid des Bundespräsidenten

Laut Amtseid hat der Bundespräsident das Grundgesetz zu wahren und zu verteidigen. Durch diesen Amtseid wird er verpflichtet die Einhaltung des Grundgesetzes als Ganzes zu wahren, dies umfasst auch ein umfassendes Prüfungsrecht im Hinblick auf die Gesetzesausfertigung.

2. Ansicht - Formelles Prüfungsrecht2

Nach dieser Ansicht hat der Bundespräsident lediglich ein formelles Prüfungsrecht. Er darf ein Gesetz damit nur auf seine formelle Verfassungsmäßigkeit hin untersuchen.

Argumente für diese Ansicht

Amtseid nur für Rechte und Pflichten

Der Amtseid des Bundespräsidenten umfasst nur seine Rechte und Pflichten, nicht aber deren Umfang. Ein umfassendes Prüfungsrecht kann aus ihm nicht hergeleitet werden.

Keine Notwendigkeit für Prüfungsrecht

Das Grundgesetz bietet zahlreiche Möglichkeiten vor dem BVerfG die Prüfung ob ein Gesetz auch materiell verfassungsmäßig ist, einzuleiten. Es besteht weder ein Bedürfnis, noch eine Notwendigkeit für ein materielles Prüfungsrecht des Bundespräsidenten.

Verhältnis Bundespräsident zu Bundestag und Bundesrat

Wenn ein Gesetz vom demokratisch legitimierten Bundestag und dem föderativ gegründeten Bundesrat unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben beschlossen wurde, käme es einem absoluten Veto gleich, wenn der Bundespräsident sich weigert es auszufertigen.

3. Ansicht - Evidenzkontrolle3

Nach dieser Ansicht steht dem Bundespräsidenten grundsätzlich ein formelles Prüfungsrecht zu. Liegt ein Fall einer evidenten Verfassungsverletzung vor, kann er die Ausfertigung jedoch aus materiellen Gründen verweigern.

Argumente für diese Ansicht

Stellung des BVerfG

Es erscheint wenig sinnvoll zwei Verfassungsorgane mit der materiellen Prüfung mit gleichem Maßstab zu beauftragen. Im übrigen könnte das Amt des Bundespräsidenten Schaden nehmen, würde er eine gleichwertige materielle Prüfung vornehmen und sodann vom BVerfG korrigiert werden. Weiterhin ist es dem Bundespräsidenten zuzumuten, eine spätere Prüfung des betreffenden Gesetzes durch das BVerfG abzuwarten.

Reine Kompetenzfrage

Die Frage nach dem materiellen Prüfungsrecht des Bundespräsidenten stellt eine reine Kompetenzfrage dar. Der Bundespräsident ist an die vom Gesetzgeber geäußerte Auffassung, das Gesetz sei materiell verfassungsmäßig gebunden. Ist diese Auffassung offensichtlich falsch, steht ihm ein materielles Prüfungsrecht zu.

  • 1. Maurer, Staatsrecht I, 6. Auflage 2010, § 17, Rn. 89; Ipsen/Epping, Jus 1992,305 (309).
  • 2. Erichsen Jura 1985,424 (425);Wertenbruch DÖV 1952, 201 (201).
  • 3. Kunig Jura 1994,217 (220); Jarass/Pieroth, 13. Auflage 2014, Art. 82 GG, Rn. 27.

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