Auslegung

A. Einführung - Was ist eine Willenserklärung

1. Die rechtliche Wirksamkeit von privaten Willensäußerungen als Grundlage des Rechtverkehrs

Die erste Frage, die wir uns stellen wollen, ist die nach dem rechtlichen Gehalt von privaten Aussagen. Nicht jede Äußerung von Privatpersonen untereinander ist auf die Herbeiführung einer rechtlichen Folge für den Einzelnen gerichtet, es können auch lediglich gesellschaftliche oder soziale Folgen beabsichtigt werden, die keinerlei rechtliche Bedeutung haben.1

Beispielfall A: Helga (H) fragt ihre Freundin Emma (E), ob sie mit ihr heute Abend zusammen ins Kino gehen will. E erklärt daraufhin am Telefon H, dass sie „auf Jeden Fall mit ihr zusammen ins Kino geht!“. Kurz vor dem vereinbarten Termin fällt E ein, dass sie sich heute Abend um den kranken Hund der Nachbarin kümmern sollte. Daraufhin sagt sie die Verabredung mit H ab.

I. Der Grundsatz "Auslegung vor Anfechtung"

Eine Irrtumsanfechtung kommt nur dann in Betracht, wenn das Erklärte und das Gewollte sich nicht decken und dies durch Auslegung im Vorfeld ermittelt wurde – es gilt der Grundsatz „Auslegung vor Anfechtung“.1

1. Abgrenzung zum Dissens

Eine Anfechtung kommt dem Grunde nach nur dann in Frage, wenn feststeht, dass der objektive Erklärungsinhalt beider Vertragsparteien übereinstimmt und eine Einigung vorliegt. Fehlt es an einer Einigung bzw. an einem Vertragsschluss, so fehlt es daher auch an der entsprechenden Voraussetzung für eine Anfechtung.2