§ 127 StPO - Vorläufige Festnahme

§ 127 Vorläufige Festnahme

(1) Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen. Die Feststellung der Identität einer Person durch die Staatsanwaltschaft oder die Beamten des Polizeidienstes bestimmt sich nach § 163b Abs. 1.

(2) Die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes sind bei Gefahr im Verzug auch dann zur vorläufigen Festnahme befugt, wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls oder eines Unterbringungsbefehls vorliegen.

(3) Ist eine Straftat nur auf Antrag verfolgbar, so ist die vorläufige Festnahme auch dann zulässig, wenn ein Antrag noch nicht gestellt ist. Dies gilt entsprechend, wenn eine Straftat nur mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgbar ist.

(4) Für die vorläufige Festnahme durch die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes gelten die §§ 114a bis 114c entsprechend. 

Schema zum Festnahmerecht, § 127 I S.1 StPO

I. Festnahmesituation, § 127 I S. 1 StPO

1. Tat

a) Tat = jede verfolgbare Straftat, die zum Erlass eines Haft- § 112 StPO oder Unterbringungsbefehls § 126a StPO berechtigen würde

P: Strafunmündige Kinder § 19 StGB (-)

P: Tatverdacht

2. "frisch betroffen"

Auf frischer Tat betroffen ist, wer bei der Begehung einer rechtswidrigen Tat oder unmittelbar danach am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe gestellt wird. oder

2. "frisch verfolgt"

Verfolgung auf frischer Tat liegt vor, wenn sich der Täter bereits vom Tatort entfernt hat, sichere Anhaltspunkte aber auf ihn als Täter hinweisen und seine Verfolgung zum Zweck seiner Ergreifung aufgenommen wird.

II. Festnahmegrund

1. Fluchtverdacht

Fluchtverdacht liegt vor, wenn der Festnehmende nach dem erkennbaren Verhalten des Täters vernünftigerweise davon ausgehen muss, dieser werde sich dem Strafverfahren durch Flucht entziehen, wenn er nicht alsbald festgenommen wird.

2. Sofortige Identitätsfeststellung nicht möglich

Die Identität des Betroffenen kann nicht sofort festgestellt werden, wenn er Angaben zur Person verweigert oder keine gültigen Ausweispapiere (insbesondere Personalausweis) mit sich führt.

III. Festnahmehandlung = Realakt

  • Anwendung körperlicher Gewalt (+)
  • Anwendung von Zwang (+)
  • Drohen + Abgabe eines Warnschusses mit einer Schusswaffe (+) <-> gezielter Schuss (-)

IV. Subjektives Rechtfertigungselement

1. Kenntnis der Festnahmesituation

2. Absicht, den Festgenommenen der Strafverfolgung zuzuführen

Vorlesung: 
Strafrecht AT
Rechtsgebiet: 
Strafrecht
Zweittitel: 
Festnahmerecht, § 127 I S.1 StPO
Video URL: 
https://media.jura-online.de/media/video/00010659_promo.mp4

Auf frischer Tat betroffen i.S.d. § 252 StGB

„Auf frischer Tat“ betroffen ist der Dieb dann, wenn er noch am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe nach der Tatausführung wahrgenommen oder bemerkt wird.

Nach der Rechtsprechung ist dabei ausreichend, dass der Täter sich für "betrofffen" hält und durch den Raubmitteleinsatz einem unmittelbar bevorstehenden Bemerktwerden zuvorkommen will.

Quelle: 
BGH 26, 95, 96, Köln NStZ 05, 448, 449; NStZ 2015, 700; Schönke/Schröder, StGB, Bosch, 30. Auflage München 2019, § 252 Rn. 4
Paragraphen: 
§ 252
Rechtsgebiet: 
Strafrecht
Vorlesung: 
Strafrecht AT
Strafrecht BT I
Strafrecht BT II
Sonstiges Strafrecht (inklusive Prozessrecht)

Verfolgung auf frischer Tat i.S.d. § 127 StPO

Eine Verfolgung auf frischer Tat liegt vor, wenn der Täter nicht am Tatort gestellt wird, aber gegen ihn unmittelbar nach Entdeckung der Tat aufgrund eines konkreten Tatverdachts Maßnahmen zu seiner Ergreifung eingeleitet werden.

Quelle: 
BeckOK-StPO/ Krauß, 49. Edition 1.10.2023, § 127 Rn. 5; Rengier, StrafR AT, 15. Auflage München 2023, § 22 (§ 127 I 1 StPO) Rn. 6.
Rechtsgebiet: 
Strafrecht
Vorlesung: 
Strafrecht AT
Sonstiges Strafrecht (inklusive Prozessrecht)

Fluchtverdacht i.S.d. § 127 StPO

Fluchtverdacht liegt vor, wenn der Festnehmende nach dem erkennbaren Verhalten des Täters vernünftigerweise davon ausgehen muss, dieser werde sich dem Strafverfahren durch Flucht entziehen, wenn er nicht alsbald festgenommen wird.

Quelle: 
BeckOK StPO/ mit RiStBV und MiStra, Graf, 48.Edition Stand: 01.07.2023, § 127 Rn. 6; BayObLG NStZ-RR 2002, 336.
Paragraphen: 
§ 127 StPO
Rechtsgebiet: 
Strafrecht
Vorlesung: 
Strafrecht AT
Sonstiges Strafrecht (inklusive Prozessrecht)

Identität nicht feststellbar i.S.d. § 127 I 1 StPO

Die Identität des Betroffenen kann nicht sofort festgestellt werden, wenn er Angaben zur Person verweigert oder keine gültigen Ausweispapiere (insbesondere Personalausweis) mit sich führt.

Quelle: 
RGSt 21, 10; Karlsruher Kommentar zur StPO, Glaser, 9.Auflage München 2023, § 127 Rn. 17
Paragraphen: 
§ 127 StPO
Rechtsgebiet: 
Strafrecht
Vorlesung: 
Strafrecht AT
Sonstiges Strafrecht (inklusive Prozessrecht)

Muss die Straftat bei § 127 StPO tatsächlich begangen worden sein?

Überblick

Die Vorschrift des § 127 I 1 StPO gewährt jedem Bürger ein Recht zur vorläufigen Festnahme und dient dabei allein dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung. Demnach ist jeder Bürger befugt, jemanden vorläufig festzunehmen, soweit er auf frischer Tat betroffen wird. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob der Täter die Tat tatsächlich begangen haben muss oder ein dringender Tatverdacht ausreicht, der sich hinterher als falsch herausstellt. Letzteres liegt vor, wenn der Festnehmende aufgrund der äußeren Umstände und bei pflichtgemäßer Prüfung von einer Straftat ausgehen durfte bzw. hiergegen keine vernünftigen Zweifel sprechen.

1. Ansicht - Die Straftat muss tatsächlich begangen worden sein.1

Der Festnehmende unterliegt insoweit ggf. einem Erlaubnistatbestandsirrtum.

Argumente für diese Ansicht

Wortlaut der Norm

Bereits der Wortlaut des § 127 I 1 StPO spricht dafür, dass die Tat tatsächlich begangen worden sein muss, indem er er ohne Einschränkung von einer „Tat“ spricht.2

Systematischer Vergleich zu § 127 II StPO

Auch aus dem systematischen Vergleich mit dem behördlichen Festnahmerecht nach § 127 II StPO folgt, dass die Tat im Rahmen des § 127 I 1 StPO tatsächlich begangen worden sein muss, da der Abs. 2 als Grundlage der Festnahme ausdrücklich einen dringenden Tatverdacht iSd. § 112 I StPO ausreichen lässt.3 (Zum Verständnis: § 127 II StPO verweist auf den Haftbefehl und konstatiert, dass die Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug und bei Vorliegen der Voraussetzungen des Haftbefehls (§ 112 StPO) den Beschuldigten festnehmen darf. Eine Voraussetzungen des Haftbefehls ist dem Gesetzeswortlaut entsprechend ein dringender Tatverdacht). Andernfalls wäre Abs. 2 obsolet und seine Beschränkung auf Staatsanwälte und Polizeibeamte würde leer laufen.4

Duldungspflicht des Festgehaltenen

Es ist dem zu Unrecht Verdächtigten nicht zumutbar, sich gegen eine irrtümliche, aber dennoch rechtmäßige, weil gerechtfertigte, Festnahme nicht mittels Notwehr zu Wehr setzen zu dürfen und diesem insoweit eine Duldungspflicht aufzuerlegen.5 Es geht nicht an, einem Unschuldigen das Recht der Notwehr gegen freiheitsbeschränkende Angriffe von Privatpersonen zu nehmen.6

Kein unzumutbares Strafbarkeitsrisiko des Festnehmenden.

Dem gutgläubig eingreifenden Bürger droht auch kein unzumutbares Strafbarkeitsrisiko, da insoweit noch ein Erlaubnistatbestandsirrtum in Betracht kommt.7

  • 1. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.; Meyer-Großner/Schmitt, StPO, § 127, Rn. 4, Aufl. 57.; Krey/Esser, Rn. 643, Aufl. 5.
  • 2. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.; Krey/Esser, Rn. 646, Aufl. 5.
  • 3. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.
  • 4. Krey/Esser, Rn. 647, Aufl. 5.
  • 5. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.
  • 6. Meyer-Großner/Schmitt, StPO, § 127, Rn. 4, Aufl. 57.
  • 7. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.

2. Ansicht - Auch der dringende Tatverdacht einer Straftat genügt.

Demnach muss die Tat nicht tatsächlich begangen worden sein.1

Argumente für diese Ansicht

Prozessualer Charakter des § 127 StPO

Dafür, dass für das Festnahmerecht des § 127 I 1 StPO bereits dringender Tatverdacht ausreicht, spricht bereits der prozessuale Charakter der Norm. Vorläufige strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen können zwangsläufig nur an einen (dringenden) Tatverdacht anknüpfen, weil zum Zeitpunkt des Eingriffs hinsichtlich der Täterschaft keine absolute Gewissheit bestehen kann.2 Es wäre daher bedenklich die Frage der Rechtmäßigkeit solange offen zu lassen, bis der Festgenommene rechtskräftig verurteilt wird.

Die Privatperson agiert stellvertretend für den Staat.

Es leuchtet nicht ein, wieso die stellvertretend für die Obrigkeit handelnde Privatperson schlechter gestellt werden sollte, als das Strafverfolgungsorgan.3

Aufklärung des Sachverhalts könnte sonst vereitelt werden.

In der Regel ist es der Verdächtige, der den Schlüssel zur Aufklärung des Tatgeschehens in der Hand hat.4

  • 1. Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.; LK/Rönnau, StGB, vor § 32, Rn. 268, Aufl. 12.; BGH NJW 81, 745.
  • 2. LK/Rönnau, StGB, vor § 32, Rn. 268, Aufl. 12.; Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.
  • 3. Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.
  • 4. Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.

Überblick

Die Vorschrift des § 127 I 1 StPO gewährt jedem Bürger ein Recht zur vorläufigen Festnahme und dient dabei allein dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung. Demnach ist jeder Bürger befugt, jemanden vorläufig festzunehmen, soweit er auf frischer Tat betroffen wird. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob der Täter die Tat tatsächlich begangen haben muss oder ein dringender Tatverdacht ausreicht, der sich hinterher als falsch herausstellt. Letzteres liegt vor, wenn der Festnehmende aufgrund der äußeren Umstände und bei pflichtgemäßer Prüfung von einer Straftat ausgehen durfte bzw. hiergegen keine vernünftigen Zweifel sprechen.

Die Ansichten und ihre Argumente

1. Ansicht - Die Straftat muss tatsächlich begangen worden sein.1

Der Festnehmende unterliegt insoweit ggf. einem Erlaubnistatbestandsirrtum.

Argumente für diese Ansicht

Wortlaut der Norm

Bereits der Wortlaut des § 127 I 1 StPO spricht dafür, dass die Tat tatsächlich begangen worden sein muss, indem er er ohne Einschränkung von einer „Tat“ spricht.2

Systematischer Vergleich zu § 127 II StPO

Auch aus dem systematischen Vergleich mit dem behördlichen Festnahmerecht nach § 127 II StPO folgt, dass die Tat im Rahmen des § 127 I 1 StPO tatsächlich begangen worden sein muss, da der Abs. 2 als Grundlage der Festnahme ausdrücklich einen dringenden Tatverdacht iSd. § 112 I StPO ausreichen lässt.3 (Zum Verständnis: § 127 II StPO verweist auf den Haftbefehl und konstatiert, dass die Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug und bei Vorliegen der Voraussetzungen des Haftbefehls (§ 112 StPO) den Beschuldigten festnehmen darf. Eine Voraussetzungen des Haftbefehls ist dem Gesetzeswortlaut entsprechend ein dringender Tatverdacht). Andernfalls wäre Abs. 2 obsolet und seine Beschränkung auf Staatsanwälte und Polizeibeamte würde leer laufen.4

Duldungspflicht des Festgehaltenen

Es ist dem zu Unrecht Verdächtigten nicht zumutbar, sich gegen eine irrtümliche, aber dennoch rechtmäßige, weil gerechtfertigte, Festnahme nicht mittels Notwehr zu Wehr setzen zu dürfen und diesem insoweit eine Duldungspflicht aufzuerlegen.5 Es geht nicht an, einem Unschuldigen das Recht der Notwehr gegen freiheitsbeschränkende Angriffe von Privatpersonen zu nehmen.6

Kein unzumutbares Strafbarkeitsrisiko des Festnehmenden.

Dem gutgläubig eingreifenden Bürger droht auch kein unzumutbares Strafbarkeitsrisiko, da insoweit noch ein Erlaubnistatbestandsirrtum in Betracht kommt.7

2. Ansicht - Auch der dringende Tatverdacht einer Straftat genügt.

Demnach muss die Tat nicht tatsächlich begangen worden sein.8

Argumente für diese Ansicht

Prozessualer Charakter des § 127 StPO

Dafür, dass für das Festnahmerecht des § 127 I 1 StPO bereits dringender Tatverdacht ausreicht, spricht bereits der prozessuale Charakter der Norm. Vorläufige strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen können zwangsläufig nur an einen (dringenden) Tatverdacht anknüpfen, weil zum Zeitpunkt des Eingriffs hinsichtlich der Täterschaft keine absolute Gewissheit bestehen kann.9 Es wäre daher bedenklich die Frage der Rechtmäßigkeit solange offen zu lassen, bis der Festgenommene rechtskräftig verurteilt wird.

Die Privatperson agiert stellvertretend für den Staat.

Es leuchtet nicht ein, wieso die stellvertretend für die Obrigkeit handelnde Privatperson schlechter gestellt werden sollte, als das Strafverfolgungsorgan.10

Aufklärung des Sachverhalts könnte sonst vereitelt werden.

In der Regel ist es der Verdächtige, der den Schlüssel zur Aufklärung des Tatgeschehens in der Hand hat.11

  • 1. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.; Meyer-Großner/Schmitt, StPO, § 127, Rn. 4, Aufl. 57.; Krey/Esser, Rn. 643, Aufl. 5.
  • 2. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.; Krey/Esser, Rn. 646, Aufl. 5.
  • 3. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.
  • 4. Krey/Esser, Rn. 647, Aufl. 5.
  • 5. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.
  • 6. Meyer-Großner/Schmitt, StPO, § 127, Rn. 4, Aufl. 57.
  • 7. Kaspar, AT, § 5, Rn. 403, Aufl. 1.
  • 8. Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.; LK/Rönnau, StGB, vor § 32, Rn. 268, Aufl. 12.; BGH NJW 81, 745.
  • 9. LK/Rönnau, StGB, vor § 32, Rn. 268, Aufl. 12.; Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.
  • 10. Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.
  • 11. Rengier, AT, § 22, Rn. 10, Aufl. 7.
Vorlesung: 
Strafrecht AT
Rechtsgebiet: 
Strafrecht

Kann der Einsatz von Schusswaffen im Rahmen des § 127 I 1 StPO gerechtfertigt sein?

Überblick

Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass im Rahmen des § 127 I 1 StPO alle Mittel gestattet sind, die zwangsläufig mit der Festnahme verbunden sind, so z.B. auch leichte körperliche Misshandlungen nach § 223 StGB. Umstritten ist aber, ob auch schwerer wiegende körperliche Beeinträchtigungen oder gar Lebensgefährdungen von § 127 I 1 StPO gedeckt sind. Im Mittelpunkt der Diskussion steht vor allem der Einsatz von Schusswaffen, um den vermeintlichen Täter von der Flucht abzuhalten.

1. Ansicht

Über leichte körperliche Misshandlungen hinaus, die mit der Festnahme zwangsläufig verbunden sind, sind schwerer wiegende Beeinträchtigungen von Leib und Leben nicht gerechtfertigt. Dies gilt unabhängig von der Schwere der Tat.1

Argumente für diese Ansicht

Missachtung rechtsstaatlicher Grenzen

Würde man weitergehende Beeinträchtigungen von Leib und Leben im Rahmen des § 127 I 1 StPO für gerechtfertigt erachten, würde man damit rechtsstaatliche Grenzen, die das Reichsgericht jahrzehntelang eingehalten hat, einreißen.2

Umgehung des § 32 StGB

Andernfalls würde man die bei Privatpersonen beachtlichen Voraussetzungen des § 32 StGB (bei Dauergefahr diejenigen des § 34 StGB) unterlaufen.3

Staatliches Gewaltmonopol wird durchbrochen

Eine derartig enge Auslegung der einzusetzenden Mittel im Rahmen des § 127 I 1 StPO ist bereits deshalb zwingend erforderlich, weil die Norm eine ausdrückliche Durchbrechung des sonst geltenden staatlichen Gewaltmonopols ausnahmsweise zulässt.4 Daher sind allenfalls Warnschüsse legitim.

  • 1. LK/Rönnau, vor § 32, Rn. 269, Aufl. 12.; Rengier, AT, § 22, Rn. 16f., Aufl. 7.; Meyer-Großner/Schmitt, StPO, § 127, Rn. 15, Aufl. 57.
  • 2. LK/Rönnau, vor § 32, Rn. 269, Aufl. 12.
  • 3. LK/Rönnau, vor § 32, Rn. 269, Aufl. 12.
  • 4. Rengier, AT, § 22, Rn. 16, Aufl. 7.

2. Ansicht

Ausnahmsweise können z.B. direkte Schüsse auf den flüchtigen Täter gerechtfertigt sein.1

Argumente für diese Ansicht

Schwere der Straftat

Es ist davon auszugehen, dass für das angemessene Verhältnis, in dem das angewendete Mittel zum Festnahmezweck stehen soll, auch die Schwere der vom Täter verübten Rechtsgutsverletzung von ausschlaggebender Bedeutung ist. Daher ist die Durchbrechung des Grundsatzes, dass das Recht zur vorläufigen Festnahme durch Private die Abgabe von Schüssen auf einen fliehenden Täter nicht gestattet, denkbar. 2

  • 1. BGH bei Pfeifer in NStZ 81, 93 (94).
  • 2. BGH bei Pfeifer in NStZ 81, 93 (94).

Überblick

Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass im Rahmen des § 127 I 1 StPO alle Mittel gestattet sind, die zwangsläufig mit der Festnahme verbunden sind, so z.B. auch leichte körperliche Misshandlungen nach § 223 StGB. Umstritten ist aber, ob auch schwerer wiegende körperliche Beeinträchtigungen oder gar Lebensgefährdungen von § 127 I 1 StPO gedeckt sind. Im Mittelpunkt der Diskussion steht vor allem der Einsatz von Schusswaffen, um den vermeintlichen Täter von der Flucht abzuhalten.

Die Ansichten und ihre Argumente

1. Ansicht

Über leichte körperliche Misshandlungen hinaus, die mit der Festnahme zwangsläufig verbunden sind, sind schwerer wiegende Beeinträchtigungen von Leib und Leben nicht gerechtfertigt. Dies gilt unabhängig von der Schwere der Tat.1

Argumente für diese Ansicht

Missachtung rechtsstaatlicher Grenzen

Würde man weitergehende Beeinträchtigungen von Leib und Leben im Rahmen des § 127 I 1 StPO für gerechtfertigt erachten, würde man damit rechtsstaatliche Grenzen, die das Reichsgericht jahrzehntelang eingehalten hat, einreißen.2

Umgehung des § 32 StGB

Andernfalls würde man die bei Privatpersonen beachtlichen Voraussetzungen des § 32 StGB (bei Dauergefahr diejenigen des § 34 StGB) unterlaufen.3

Staatliches Gewaltmonopol wird durchbrochen

Eine derartig enge Auslegung der einzusetzenden Mittel im Rahmen des § 127 I 1 StPO ist bereits deshalb zwingend erforderlich, weil die Norm eine ausdrückliche Durchbrechung des sonst geltenden staatlichen Gewaltmonopols ausnahmsweise zulässt.4 Daher sind allenfalls Warnschüsse legitim.

2. Ansicht

Ausnahmsweise können z.B. direkte Schüsse auf den flüchtigen Täter gerechtfertigt sein.5

Argumente für diese Ansicht

Schwere der Straftat

Es ist davon auszugehen, dass für das angemessene Verhältnis, in dem das angewendete Mittel zum Festnahmezweck stehen soll, auch die Schwere der vom Täter verübten Rechtsgutsverletzung von ausschlaggebender Bedeutung ist. Daher ist die Durchbrechung des Grundsatzes, dass das Recht zur vorläufigen Festnahme durch Private die Abgabe von Schüssen auf einen fliehenden Täter nicht gestattet, denkbar. 6

  • 1. LK/Rönnau, vor § 32, Rn. 269, Aufl. 12.; Rengier, AT, § 22, Rn. 16f., Aufl. 7.; Meyer-Großner/Schmitt, StPO, § 127, Rn. 15, Aufl. 57.
  • 2. LK/Rönnau, vor § 32, Rn. 269, Aufl. 12.
  • 3. LK/Rönnau, vor § 32, Rn. 269, Aufl. 12.
  • 4. Rengier, AT, § 22, Rn. 16, Aufl. 7.
  • 5. BGH bei Pfeifer in NStZ 81, 93 (94).
  • 6. BGH bei Pfeifer in NStZ 81, 93 (94).
Vorlesung: 
Strafrecht AT
Rechtsgebiet: 
Strafrecht