Die Zivilstation im Referendariat

Die Zivilstation wird zumindest in den meisten Bundesländern Deine erste Station im Referendariat sein und ca. vier Monate dauern. Dich erwarten also vier Monate, in denen Du zwar viel theoretischen Stoff lernen, aber auch eng mit Deinem ausbildenden Richter am Amts- oder Landgericht zusammenarbeiten wirst.

Wie bereits in vorhergehenden Artikeln beschrieben, wird sich die Zivilstation – wie grundsätzlich jede andere Station auch – in mehrere Ausbildungsbestandteile gliedern: Einführungslehrgang, Arbeitsgemeinschaften, praktische Ausbildung, Vor- und Nachbereitung sowie Probeklausuren.

Gegenstand der Zivilstation wird in allen Ausbildungsbestandteilen vorwiegend das Zivilprozessrecht sein – in der Theorie und in der Praxis. Da das materielle Recht nur noch partiell gelehrt bzw. wiederholt wird und man von Dir erwartet, dass Du hier sattelfest bist, empfiehlt es sich, vor und während des Referendariats Wiederholungseinheiten für das materielle Recht einzuplanen.

Gegenstand der Zivilstation: Das Zivilprozessrecht

Denn gerade als man im Studium das Gefühl hatte, endlich einen Gesamtüberblick über das Zivilrecht (und insbesondere das BGB) bekommen zu haben, das große Ganze, die Zusammenhänge und die Gesetzessystematik verstanden zu haben, kommt das Zivilprozessrecht und setzt noch einen obendrauf. Daher ist es eine echte Wohltat, wenn Du im materiellen Recht weitestgehend sicher bist.

Ich für meinen Teil dachte komplexer als das Bürgerliche Gesetzbuch wird es wohl kaum werden. Schließlich musst Du Dich gut im Gesetz auskennen, um zu wissen, dass irgendeine (jedem sonst unbekannte) Vorschrift im Allgemeinen Teil des BGB analog auf irgendeine andere Spezialvorschrift Anwendung findet und damit die Ausnahme von der Ausnahme von der Ausnahme vorliegt - Du kennst das Spiel.

Spoiler-Alert! Das Zivilprozessrecht hat es in sich und steht dem materiellen Zivilrecht in nichts nach. Wie das Wort bereits vermuten lässt, regelt das Zivilprozessrecht sehr umfangreich den formalen Ablauf eines gerichtlichen Zivilverfahrens mit all seinen Spielarten von Anfang bis Ende. Von der Klageerhebung über das Verfahren vor Gericht, die Urteilsfindung und die Kosten bis hin zur letztendlichen Vollstreckung eines gerichtlich festgestellten Anspruchs.

Daneben treten „Sonderlocken“ wie Spezialvorschriften und -gesetze für das Verfahren in Familiensachen und der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) oder für die Durchsetzung arbeitsrechtlicher Ansprüche nach dem Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Du siehst also: Mit der Zivilprozessordnung (ZPO) allein ist es leider noch nicht getan.

Der Einführungslehrgang

Einen groben Überblick über die Zivilprozessordnung (und damit das „normale“ Erkenntnisverfahren vor einem ordentlichen Gericht) bekommst Du im Rahmen Deines zweiwöchigen Einführungslehrgangs. Die Teilnahme an dem Einführungslehrgang ist Pflicht.

Hier wirst Du zunächst vor den Besonderheiten des Familien- oder Arbeitsrechts verschont bleiben. Auch das Vollstreckungsrecht wird Dir später nähergebracht. Der Einführungslehrgang dient allein dazu, Dich mit den Grundsätzen des Zivilprozessrechts (ZPO + GVG) vertraut zu machen und Dich – soweit möglich – auf die praktische Arbeit bei Deinem Ausbilder am Amts- oder Landgericht vorzubereiten.

In der Regel wirst Du also den Ablauf eines „Standard-Verfahrens“ vor Gericht (zunächst theoretisch) kennenlernen. In diesem Zusammenhang wirst Du Dich damit beschäftigen, wie und vor welchem Gericht Klage zu erheben ist, wie sich das Verfahren bis zur mündlichen Verhandlung gestaltet und wie die mündliche Verhandlung selbst abläuft.

Um dieses theoretische Wissen in eine praktische Form zu gießen, wirst Du lernen, wie Du eine Klage und ein Urteil aufbaust und schreibst. Im Einführungslehrgang wirst Du also erste Berührungspunkte mit dem Urteilsstil haben. Ein Fokus wird voraussichtlich auf dem Aufbau eines Urteils und hier vor allem auf dem Tatbestand liegen.

Der Tatbestand gibt (verkürzt dargestellt) den unstreitigen Sachverhalt und die streitigen Auffassungen der Parteien inkl. ihrer Anträge wieder. Der Aufbau folgt dabei strengen Regeln und fällt Referendaren am Anfang des Referendariats erfahrungsgemäß schwer. Hier solltest Du besonders aufmerksam sein, da Du bei Deinem Ausbilder in jedem Fall (wahrscheinlich gleich zu Anfang) ein Urteil schreiben musst.

Die Arbeitsgemeinschaft

Direkt an den Einführungslehrgang schließt sich mehrmals wöchentlich die Arbeitsgemeinschaft an, in der Du Deine Kenntnisse zum Zivilprozessrecht erweitern und vertiefen wirst. Die Arbeitsgemeinschaft wird von einem AG-Leiter geleitet, der mit dem Dozenten des Einführungslehrgangs identisch sein kann, aber nicht sein muss. Parallel zur Arbeitsgemeinschaft wirst Du bei Deinem praktischen Ausbilder arbeiten. In der Arbeitsgemeinschaft wirst Du im Rahmen von Unterrichtseinheiten also vertieft in die Zivilprozessordnung einsteigen. Du wirst lernen, wie und mit welchen Fristen ein schriftliches Vorverfahren abläuft, welche (zum Teil strengen) Formalien innerhalb einer mündlichen Verhandlung zu beachten sind, wie Du Anträge stellst, zur Sache verhandelst und Zeugen vernimmst.

Darüber hinaus lernst Du alle Besonderheiten, die im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens vorkommen können. Du wirst zum Beispiel lernen, was passiert, wenn der Kläger oder der Beklagte nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint, wie Du eine Klage zurücknimmst (und welche Folgen dies für die Kosten des Rechtsstreits hat) oder wie Du eine Klage nachträglich um weitere Klagegegenstände erweiterst und welche Voraussetzungen hierfür vorliegen müssen.

Du lernst das Zivilprozessrecht daher aus zwei bzw. drei unterschiedlichen Perspektiven kennen. Zum einen aus der Sicht des Richters, der das gerichtliche Verfahren leitet und hierüber entscheidet. Zum anderen aus der Sicht des Klägers oder des Beklagten, die das gerichtliche Verfahren initiieren bzw. sich hiergegen zur Wehr setzen.

In Sondereinheiten zur Arbeitsgemeinschaft wirst Du Dich dann auch mit den besonderen Verfahren in Familien- und Arbeitsrechtssachen auseinandersetzen.

Auf einer (dem Erkenntnisverfahren) nachgelagerten zweiten Ebene wirst Du lernen, wie Du gerichtlich festgestellte Ansprüche gegen den Beklagten durchsetzt und vollstreckst (Vollstreckungsrecht). Vor allem das Vollstreckungsrecht und entsprechenden Klausuren hierzu sind sehr komplex. Auch für das Vollstreckungsrecht wird es in der Regel Sondereinheiten geben.

All diese Dinge kannst und wirst Du im Zweifel für Deine Arbeit beim Ausbilder benötigen.

Die praktische Arbeit beim Ausbilder

Im Anschluss des Einführungslehrgangs und parallel zum Unterricht in Deiner Arbeitsgemeinschaft wirst Du einem Richter am Amts- oder Landgericht zugewiesen, der Dich praktisch ausbilden wird. Die praktische Arbeit bei Deinem Ausbilder ist das Herzstück der Zivilstation und der Teil, der am meisten Spaß macht, aber auch am anstrengendsten sein kann.

Für den Ablauf Deiner praktischen Ausbildung bei Deinem zugewiesenen Richter gibt es keine allgemeingültigen Regeln. Allerdings haben sich gewisse Abläufe eingeschliffen, sodass man hier von der „Regel“ sprechen kann:
Grundsätzlich wirst Du pro Woche eine Akte bekommen, die Du aktiv bearbeiten musst. Das bedeutet, dass Du die Akte mit nach Hause nimmst, liest und entscheidest, was Du aus der Perspektive des Richters als Nächstes veranlassen musst. Und hier liegt oft der Hase im Pfeffer. Die meisten Ausbilder sagen Dir nämlich nicht, was Du konkret tun sollst - klar, das ist ja auch das Ziel der Ausbildung: es selbst herauszufinden.

Das heißt, dass Du nicht in jedem Fall ein Urteil verfassen musst. Ein Urteil musst Du nur schreiben, wenn die Sache „entscheidungsreif“ ist, also vor allem, wenn keine Beweisaufnahme mehr erfolgen muss. Es kann allerdings auch vorkommen, dass Du weitere Beweise erheben und Zeugen hören oder den Parteien einen richterlichen Hinweis erteilen musst; in diesem Fall sind die entsprechenden Beschlüsse zu verfassen.

Manchmal aber nicht immer, besprichst Du die Akte vorher mit Deinem Richter bzw. führt Dich Dein Ausbilder in den Sachstand ein. Das kann vor allem sinnvoll sein, wenn bereits mündliche Verhandlungen stattgefunden haben und Dein Ausbilder bereits einen ersten Eindruck von den Parteien bekommen hat. Abhängig vom jeweiligen Ausbilder bekommst Du im Rahmen dieser Vorgespräche ggf. bereits Tipps und Hinweise, was Du konkret zu der Akte vorbereiten sollst. Der Regelfall ist das allerdings nicht.

Nachdem Du Dich durch die Akte gekämpft und Dich entschieden hast, was als Nächstes zu veranlassen ist, gibst Du Deine Ausarbeitung bei Deinem Ausbilder ab. Auch hier hängt die weitere Handhabung vom jeweiligen Ausbilder ab. Die meisten Ausbilder besprechen Deine Ausarbeitung ausführlich mit Dir und geben Dir hierzu unmittelbar Feedback und ggf. auch schon Punkte.

Manche Ausbilder lassen Deine Ausarbeitung aber auch nahezu unkommentiert und teilen Dir nur mit, ob Du das Richtige veranlasst hast. In diesem Fall lohnt sich ein nochmaliger Blick in die spätere Akte bzw. wird Dir Dein Ausbilder seine Entscheidung (Urteil, Hinweis- oder Beweisbeschluss etc.) in Kopie aushändigen. Hieraus kannst Du im Zweifel entnehmen, inwieweit Dein Ausbilder Deine Ausführungen übernommen hat.

Neben der Akte, die Du aktiv in der Woche bearbeitest, wirst Du in der Regel weitere Akten bekommen, die Du allerdings „nur“ lesen musst. Das hat den Hintergrund, dass Du Dich durch das Aktenstudium auf den Sitzungstag und die an diesem Tag stattfindenden mündlichen Verhandlungen vorbereiten sollst. In der Regel gibt es nur einen Sitzungstag, an dem Dein Ausbilder die mündlichen Verhandlungen für die Woche hintereinander abhandelt. So ein Sitzungstag kann daher sehr lang werden und anstrengend sein (insbesondere, wenn Dein Ausbilder selbst keine Pause macht). Ich rate Dir erfahrungsgemäß dazu, vorher ausgiebig zu frühstücken. Im Zweifel wirst Du nämlich keine Mittagspause haben. Auch das (unauffällige) Trinken gestaltet sich während solcher Sitzungstage schwierig.

Abhängig vom jeweiligen Ausbilder und seiner verfügbaren Zeit werdet ihr die Akten vor dem Sitzungstag besprechen. Ansonsten nimmst Du direkt und ohne Vorbesprechung an der mündlichen Verhandlung teil. Auch hier ist jeder Ausbilder anders. Manche Ausbilder verweisen Dich in den Zuschauerraum (was das Essen und Trinken zumindest deutlich erleichtert), andere lassen Dich neben sich am Richterpult sitzen. In jedem Fall solltest Du darauf achten, dass Du dem Anlass entsprechend gekleidet bist. Die mündliche Verhandlung ist einer der wirklich wenigen Fälle, in denen Du in der Justiz Deinen Anzug oder Dein Kostüm herausholen kannst und solltest. Ansonsten ist Deine Aufgabe an den Sitzungstagen in der Regel einfach: dasitzen und zuhören. Insbesondere bei der Parteieinvernahme und dem Hören von Zeugen.

Sofern Du bereits einige Sitzungstage hinter Dir hast, wird Dein Ausbilder Dir vorschlagen (oder ggf. erwarten), dass Du eine mündliche Verhandlung selbst in eigener Verantwortung leitest. Keine Angst, Du wirst nicht ohne Deinen Ausbilder in der mündlichen Verhandlung sitzen. Das Ziel sollte aber natürlich sein, dass Du die Hilfe Deines Ausbilders nicht benötigst.

Zwar ist eine mündliche Verhandlung sehr dynamisch und abhängig von dem Vorbringen der Parteien und Zeugen, sodass Du häufig situationsbedingt und damit spontan reagieren musst, was die Leitung einer mündlichen Verhandlung sehr anstrengend macht. Das spontane Reagieren ist genau das, was Referendaren Angst macht. Diese Nervosität wird sich wahrscheinlich auch erst nach langjähriger Übung legen. Mitunter verspüren selbst amtierende Richter noch ein wenig Lampenfieber.

Allerdings kannst Du Dich selbst etwas beruhigen, indem Du Dich zumindest in den Punkten gut vorbereitest, in denen einen Vorbereitung möglich ist: der formale Ablauf der mündlichen Verhandlung. Die mündliche Verhandlung folgt einem gewissen Schema bzw. einer Reihenfolge, die Du Dir aneignen kannst. Hilfreich ist es auch, die ersten Sätze zur Eröffnung der mündlichen Verhandlung (welche Du diktieren musst) auswendigzulernen. Es ist unerlässlich zu wissen, wie Du ein Diktiergerät verwendest, Diktate überspielst oder einfach nur zurückspulst. Nimm Dir daher das Diktiergerät mit nach Hause und übe hier das Diktieren in Ruhe, bis Du sicher im Umgang mit dem Gerät bist.

Alles halb so schlimm!

Das Pensum an Lernstoff, Unterricht, Probeklausuren und praktischer Arbeit bei Deinem Ausbilder erscheint zunächst vielleicht erschlagend. Doch Du wirst sehen, dass Du schnell mit Deinen Aufgaben wachsen wirst und es auch sehr wohltuend sein kann, endlich etwas mit dem ganzen theoretischen Wissen bewirken zu können.

Sobald Du nach den ersten Wochen in der Zivilstation eine gewisse Routine entwickelt hast, kann das Referendariat sehr viel Spaß machen. Dies gilt umso mehr, wenn Deine Mitstreiter in der Arbeitsgemeinschaft nett sind und ihr einen engen „Klassenverbund“ habt. Also: versuche das Referendariat trotz allem so gut es geht zu genießen!

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