5. Missglückte Schwerpunktsetzung oder: Du sollst nur dort angeln, wo Fische schwimmen.
Das führt direkt zum nächsten Kapitalfehler: Als Jurastudierende werdet ihr es schon häufig gehört haben: „Sie müssen Schwerpunkte setzen“. Das Gemeine an diesem gut gemeinten und gebetsmühlenartig vorgetragenen Tipp: Er ist nicht nur der wichtigste, sondern zugleich der, welcher sich am schwierigsten umsetzen lässt. Spätestens als fortgeschrittener Student muss man zeigen, dass man die Probleme erkannt hat.
Beispielsfall: A kann den O nicht leiden, weil er nach Meinung des A arrogant ist. Um ihn einen Denkzettel zu verpassen, wartet A eines Abends auf einer Parkbank, wo O jeden Tag entlang joggt. O hat gerade seinen Gruß ausgesprochen, als A ihn packt und mehrfach ins Gesicht schlägt. Anschließend schleudert er O mit dem Kopf voran gegen einen Pfosten, bis O mit einer Platzwunde blutend zusammenbricht. Strafbarkeit des A gemäß §§ 223 ff. StGB?
In einem solchen Fall solltet ihr zunächst mit der Normalfallmethode nach den Problemen der Klausur suchen. Als zentrale Schwierigkeit solltet ihr die Frage bewerten, ob ein unbeweglicher Gegenstand wie der Pfosten ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB sein kann. Ebenfalls etwas genauer prüfen sollte man die Frage, ob eine lebensgefährdende Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB vorliegt.
Schon etwas weniger streng kann man bei der Frage sein, ob eine Körperverletzung i.S.d. § 223 Abs. 1 StGB gegeben ist. Zwar darf man dies nicht einfach feststellen, muss es aber auch nicht en détail prüfen. Gleiches gilt für die Frage eines hinterlistigen Überfalls i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB, denn durch das offene Aufeinandertreffen von A und O fehlt es recht offensichtlich an einem planmäßig-verdeckten Vorgehen. Ohne jedes Problem ist der Vorsatz; dieser sollte nach einer Definition knapp bejaht werden. Zuletzt gibt es noch abwegige Prüfungspunkte, die man für eine gelungene Schwerpunktsetzung gar nicht erwähnen sollte, hier beispielsweise, ob O durch den Gruß an A in die Körperverletzung i.S.d.
§ 28 StGB eingewilligt hat.
Was könnt Ihr tun?
In der Klausur solltet ihr gedanklich oder am besten auf einem Schmierpapier folgende Tabelle erstellen, die ihr entsprechend des hiesigen Beispiels ausfüllt:
Bedeutung |
Definition |
Am Beispiel |
In der Klausur |
3 (Schwerpunkt) |
Zentrales Klausurproblem |
Laterne = gefährliches Werkzeug, lebensgefährdende Behandlung |
detaillierte, aber zielführende Ausführungen. Hier gibt es die Punkte |
2 (Nebenschauplatz) |
Prüfungspunkte, die man präzise subsumieren muss, aber dem Normalfall noch genügen. |
Gesundheitsschädigung und körperliche Misshandlung; Hinterlistiger Überfall |
Hier muss eine Behandlung im Gutachtenstil erfolgen. Man kann für die Note nicht so viel gewinnen wie bei Schwerpunkten, aber ähnlich viel verlieren, denn Nebenschaplätze erfordern Basiswissen. |
1 (Unproblematisch) |
Ein Prüfungspunkt, dessen Vorliegen keiner Begründung bedarf. |
Körperverletzungsvorsatz; Rechtswidrigkeit und Schuld |
Scheinsubsumtion droht (siehe Fehler 3), daher Merkmal kurz und knapp im Feststellungsstil bringen! |
1 (Abwegig) |
Prüfungspunkte, die für die Lösung der Klausur unter keinem sinnvollen Aspekt eine Rolle spielen. |
Frage, ob der O durch den Gruß an A in seine Körperverletzung eingewilligt hat |
Keinesfalls prüfen, da für den Fall irrelevant oder sogar sachlich falsch! So verwässert man die eigene Lösung! |
Streitigkeiten solltet ihr nur dann entscheiden, wenn es auf ihre Entscheidung auch wirklich ankommt. Führen alle Ansichten zum gleichen Ergebnis, ist der Entscheid entbehrlich.
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