Das elektronische zweite juristische Staatsexamen

Jeder Prüfling, der zum Ersten oder zweiten Staatsexamen angetreten ist, kann ein Lied davon singen: Das Schreiben von fünfstündigen Klausuren bedeutet nicht nur psychisch, sondern auch körperlich eine hohe Belastung. Nicht selten sieht man schon während oder spätestens nach den ersten handgeschriebenen Klausuren einige Mitstreiter, die Bandagen tragen, um überhaupt noch an den verbleibenden Klausuren teilnehmen zu können.

Diese Bilder gehören der Vergangenheit an, wenn man das Pilotprojekt des Landes Sachsen-Anhalt betrachtet. Ab dem 1. April 2019 schreiben hier die Rechtsreferendare ihre Klausuren zur zweiten juristischen Staatsprüfung am Notebook (kein Aprilscherz!). Gemäß aktuellem Slogan – #moderndenken – schafft es Sachsen-Anhalt als bisher erstes und einziges Bundesland, mit dem elektronischen zweiten juristischen Staatsexamen Neuland in der deutschen Juristenausbildung zu betreten. Was z.B. in den Vereinigten Staaten von Amerika und dem elektronischen Barexamen schon lange Gegenwart ist, schien in der deutschen Juristenausbildung bisher nicht realisierbar.

Die erfolgreiche Umsetzung des elektronischen Examens hängt unter anderem auch mit der sehr engen Kooperation zwischen dem Landesjustizprüfungsamt und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zusammen. Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg stellt für die Examenskandidaten die technischen Rahmenbedingungen wie Notebooks, Server und Räume bereit. Nach aktuellen Information schreiben im ersten Prüfungsdurchgang im April 2019 über 90% der Kandidaten ihr Examen am Notebook. Ein Wahlrecht, ob die Prüfungsleistung handschriftlich oder elektronisch abgenommen werden soll, bleibe noch bestehen. Eine Änderung der bisherigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sei damit nicht verbunden.

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Nach vergangenen Testläufen wurde ein positives Resultat für das elektronischen Examen gezogen. Zum einen sei der Geräuschpegel weitaus niedriger als bei Klausuren auf Papier, da die Notebooks speziell gedämpfte Tastaturen haben, welche ein leises Schreiben ermöglichen. Zum anderen gaben die Kandidaten im Testlauf positives Feedback, was den Komfort beim Schreiben angeht: Beeinträchtigungen, wie sie bei handschriftlichen Klausuren vorzufinden waren, gehören dank des Tippens der Vergangenheit an. Ganz ohne Papier will man dennoch nicht arbeiten: Die Aufgabenstellungen wird weiterhin als Akte auf Papier ausgegeben und das sogenannte Konzeptpapier in analoger Form bereitgestellt. Zudem wird die Prüfungsleistung ausgedruckt, nachdem der Kandidat am Ende der Bearbeitung ein PDF erzeugt und damit seine Arbeit abgegeben hat. Auch wichtig: Gesetzbücher und Kommentare bleiben wie gewohnt zum Anfassen!

Als Schreibprogramm werde eine abgespeckte Version von Libre Office verwendet, was für die Klausur voreingestellt sei und bis auf leichte Anpassungen des Textes wie Textposition, Fettschreibung oder Unterstreichung keine Modifikationen oder umfangreiche Gestaltungen zulasse. Entgegen der Skepsis: Die Rechtschreibprüfung sei während der ganzen Bearbeitungszeit deaktiviert. Auch habe man Bedenken von Täuschungsversuchen durch entsprechende Tests vorab beseitigen können.

Etwaige Sicherheitsbedenken habe man aktuell nicht hervorgebracht. Die bearbeiteten Dokumente würden etwa jede Minute intern auf einem Server der kooperierenden Universität automatisch zwischengespeichert, um einen Datenverlust zu verhindern, sofern das Notebook unerwartete Defekte aufweisen sollte. Mit dem Internet sei selbstverständlich keines der Geräte verbunden. Abgesehen vom  Schreibprogramm können keine anderen Programme aktiviert werden.

Vertreter von anderen Landesjustizprüfungsämtern haben bereits während der Testphasen in Sachsen-Anhalt hospitiert und sich einen persönlichen Eindruck vom elektronischen Examen verschafft. Entsprechende Reaktionen seien positiv. Jedes Bundesland müsse für sich einzeln prüfen, inwiefern das Konzept des elektronischen Examens umgesetzt werden könne.

Das elektronische Examen kann hinsichtlich Bewertung und Fairness einen entscheidenden Vorteil gegenüber handgeschriebenen Klausuren bieten: Problematiken mit schwer lesbaren Handschriften würden wegfallen und die Korrekturen könnten idealerweise unabhängig voneinander erfolgen. Dazu müsste jeder Korrektor eine Kopie der elektronischen Klausur erhalten und seine Bewertung nicht voreingenommen auf Grundlage der Vorkorrektur abgeben. Trotz dieser technisch sehr einfachen Möglichkeit, digital geschriebene Klausuren unabhängig und vor allem unvoreingenommen voneinander zu beurteilen, gehe man in Sachsen-Anhalt jedoch noch den bewährten Weg, Erstvotum und Klausuranmerkungen auch für den Zweitkorrektor zur Verfügung zu stellen.

Insgesamt dürfte schnelles Tippen im elektronischen Examen ein Vorteil sein, um die ohnehin schon knappe Zeit in den Klausuren etwas zu obsiegen: Obwohl das Examen elektronisch verfasst wird, bleiben die Inhalte der Klausuren aus dem Klausurverbund zur Vergleichbarkeit bestehen, d.h. der Klausurstoff werde quantitativ nicht erhöht. Wer also am Notebook schneller schreiben kann, hat gegenüber der handgeschriebenen Version einen deutlichen Vorteil, um am Ende der Klausur mehr Lösungsquantität abzuliefern. Inwiefern andere Randfaktoren wie gesteigerte Leserlichkeit zu einem positiveren Bewertungsbild beitragen, bleibt abzuwarten. Gleichzeitig kann eine fehlende Rechtschreibprüfung allerdings auch dazu führen, Flüchtigkeitsfehler in der Lösung zu verursachen, die handschrfitilch nciht betsehen wrüden.

Ob durch das elektronische Examen bessere Ergebnisse erzielt werden, bleibt abzuwarten. In den vergangenen Jahren lagen die VB-Quoten im zweiten Examen für das Bundesland Sachsen-Anhalt etwa bei 13 bis 15%. Auf jeden Fall ist das elektronische Examen in Sachsen-Anhalt eine starke Ansage, um der Juristenausbildung in Deutschland im Zeitalter von Legal Tech & Co. etwas mehr Charme der Moderne und Praxis zu verleihen. Angesichts der aufgezählten Vorteile des elektronischen Staatsexamens kann es ein weiser Schritt sein, für die Juristenausbildung möglicherweise auch nach Sachsen-Anhalt zu wechseln.
 

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