Lernbeitrag: Strafrechtliche Konkurrenzen leicht gemacht!

Die Konkurrenzen der §§ 52 ff. StGB sind bei uns Studenten meist furchtbar unbeliebt. Dies liegt nicht nur an ihrer Komplexität oder der verwirrenden Begrifflichkeiten, sondern vor allem daran, dass sie regelmäßig am Ende der Prüfung relevant werden. Dann aber ist nicht nur die Zeit knapp, sondern auch die Achtgabe gering. Die Bedeutung der strafrechtlichen Konkurrenzen wird deshalb selbstgerecht heruntergespielt. Durch die Konkurrenzlehre kann bestimmt werden, für welche Taten und nach welchem Berechnungsprinzip ein Täter bestraft wird. Hat der Täter mehrere Straftatbestände erfüllt, kann das Strafbarkeitsergebnis ohne die Konkurrenzlehre schnell unbillig und schuldunangemessen werden. Die §§ 52 ff. markieren die Nahtstelle zwischen Tat und Tatfolgen. Damit euch dieses zugegebenermaßen nicht ganz einfache strafrechtliche Teilgebiet nicht allzu schwer fällt, müsst ihr bei eurer Prüfung schrittweise vorgehen (wobei es genügt einen oder mehrere der Schritte nur gedanklich zu gehen - denkt an eure Schwerpunktsetzung!):

1. Schritt: Hat der Täter mehrere Strafgesetze bzw. dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzt?

Verneint man die oben gestellte Frage, kann die Konkurrenzlehre dahinstehen. Denn wie soll etwas konkurrieren, wenn es nur einfach (z.B. ein einziger Diebstahl) oder gar nicht (Straflosigkeit der Person) vorhanden ist?     

2. Schritt: Liegt Handlungseinheit oder Handlungsmehrheit vor?

Diese Frage birgt die entscheidende Weichenstellung: Nur wenn man für die oben festgestellten mindestens zwei Gesetzesverletzungen Handlungseinheit annimmt, kommt Tateinheit (§ 52) in Frage. Bei einer Handlungsmehrheit verbleibt nur die Tatmehrheit (§ 53).

Warum ist das wichtig? Diese Frage muss geklärt werden, weil die Tateinheit für den Täter günstiger, die Tatmehrheit umgekehrt ungünstiger ist. Denn bei der Tateinheit wird nur auf eine einzige Strafe erkannt, die sich aus dem schwersten der verwirklichten Gesetze ergibt (§ 52 I, II). Bei der Tatmehrheit hingegen werden Einzelstrafen gebildet und die schwerste davon entsprechend erhöht, wobei die Summe der Einzelstrafen nicht erreicht werden darf (§§ 53, 54).

Handlungseinheit nimmt man – vereinfacht gesagt – an, wenn nur eine Handlung vorliegt. Dieses Ergebnis kann sich einstellen, wenn (1) tatsächlich nur eine Handlung vorliegt (= eine Handlung im natürlichen Sinn), (2) nicht tatsächlich, aber nach natürlicher Betrachtungsweise nur eine Handlung vorliegt (= natürliche Handlungseinheit) oder (3) aufgrund rechtlicher Betrachtung verschiedene Handlungen im natürlichen Sinn zu einer Handlung zusammengefasst werden müssen (= juristische Handlungseinheit).

Liegt keine dieser drei Fallgruppen vor, stehen die Gesetzesverletzungen in Handlungsmehrheit.

a) Handlung im natürlichen Sinn

Sie liegt salopp gesprochen vor, wenn auch „Hein Blöd von der Straße“ nur von einer einzigen Handlung sprechen würde und durch diese eine Handlung mehrere Tatbestände (oder derselbe mehrfach, s.o.) erfüllt werden. Dabei spielt es keine Rolle, wie viele Rechtsgüter betroffen sind oder ob diese höchstpersönlich sind oder nicht.

Bsp.: A wirft eine Bombe in eine Menschenmenge. Dabei sterben drei Menschen und ein Hund.

A verwirklicht drei Fälle der §§ 212 I, 211 I, II Var. 7 und einen Fall des § 303 I handlungseinheitlich.

b) Natürliche Handlungseinheit

Hier würde es der natürlichen Lebensauffassung widersprechen, wenn man die verschiedenen Tatbestandserfüllungen als handlungsmehrheitlich bezeichnete. Die natürliche Betrachtung gebietet es vielmehr, die Handlungen zu einer einzigen zusammenzufassen.

Dafür bedarf es nach dem BGH folgender vier Voraussetzungen:

1. gleichartige Begehungsweise

2. unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang

3. einheitliche Willensbetätigung

4. Vorgang erscheint Außenstehenden als zusammengehöriges, einheitliches Tun

Ein Beispiel sind die „Polizeifluchtsfälle“ (vgl. z.B. BGHSt 22, 67), in denen der Täter vor der Polizei flieht und dabei mehrere Delikte verwirklicht (z.B. §§ 142, 323 c, 113, 224, 316 StGB, § 21 StVG). Hinweis: Diese Fallgruppe findet auf höchstpersönliche Rechtsgüter (z.B. Leben, sexuelle Selbstbestimmung) nur in besonderen Ausnahmefällen Anwendung. Serienmorde unterfallen also idR nicht dieser Gruppe!

c) Handlung im juristischen Sinn 

Hier bewirkt eine rechtliche Wertung die Zusammenfassung mehrerer Handlungen zu einer Handlungseinheit. Es gibt folgende drei Fallgruppen:

aa) Tatbestandliche Handlungseinheit

Der gesetzliche Tatbestand verbindet mehrere Willensbetätigungen zu einer rechtlich-sozialen Bewertungseinheit.

Bsp.: Dauerdelikte (z.B. §§ 123, 239, 316); mehraktige Delikte wie § 146 I Nr. 3; zusammengesetzte Delikte wie § 249; Beihilfe zu einer Tat mit mehreren Beihilfehandlungen; pauschale Umschreibung des Tatbestandes wie „Handeltreiben“ in § 29 I Nr. 1 BtMG oder „Quälen“ bei § 225 I.

bb) Fortgesetzte Handlung

Darunter verstand man mehrere Einzelakte, getragen von einem Gesamtvorsatz, die sich gegen das gleiche Rechtsgut richteten und in ihrer Begehungsweise gleichartig waren. Erfasst waren mithin die typischen Serientaten. Nach der Entscheidung des BGH GrS 40, 138 ist diese Figur weitestgehend aufgegeben und auf absolute Ausnahmefälle beschränkt.

cc) Teilidentität der Ausführungshandlungen

Überschneiden sich die Tathandlungen zweier Delikte (zumindest) zum Teil, so ist zwischen diesen Delikten Handlungseinheit anzunehmen.

Bsp.: A raubt B aus und flieht mit der Beute. Als er erkennt, dass er den B nicht wird abschütteln können, erschießt er ihn kurzerhand.

§§ 212 I, 211 und § 249 I (§ 250) stehen hier in Handlungseinheit, weil sich die Beendigungsphase des Raubes mit der Ausführungshandlung des Totschlags bzw. Mordes überschneidet.

3. Schritt: Liegt Gesetzesmehrheit vor?

Die Konkurrenzlehre findet nur dann Anwendung, wenn sich aus den verschiedenen, zu einer Handlungseinheit verschmolzenen Handlungen eine Gesetzesmehrheit ergibt. Dies ist in der Regel der Fall. Aber nicht immer, wie euch das folgende Beispiel zeigt:

A beschimpft den B direkt nacheinander als Hurensohn, Arschloch und Wichser.

A spricht drei Beleidigungen gegen B aus (= 1. Schritt erfüllt: Dasselbe Strafgesetz wird mehrfach verletzt), die wegen natürlicher Handlungseinheit als handlungseinheitlich zusammengefasst werden (= der 2. Schritt stellt die Weiche Richtung „Tateinheit“). Dennoch ist für die Konkurrenzlehre und insbesondere für die Tateinheit kein Raum – denn die Schimpfkanonade richtet sich nur gegen B, sodass nur eine handlungseinheitliche Beleidigung, also gerade keine Gesetzesmehrheit vorliegt. Dass der A hier ein wenig "übertrieben" hat, spielt mithin nur auf Ebene der Strafzumessung eine Rolle, ist aber keine Frage der Konkurrenzen.

 4. Schritt: Wird aus der Gesetzesmehrheit wegen Gesetzeskonkurrenz eine Gesetzeseinheit?

Ist geklärt, dass mehrere (handlungseinheitliche) Gesetzesverletzungen vorliegen, die zu einer Gesetzesmehrheit führen, muss abschließend die Frage beantwortet werden, ob nicht die sog. „Gesetzeskonkurrenz“ bzw. „unechte Konkurrenz“ die Gesetzesmehrheit zu einer Gesetzeseinheit einschmelzt. Dies kann abermals dazu führen, dass die Frage nach Tateinheit und Tatmehrheit letztendlich nicht gestellt werden muss, weil nur noch eine einzige Tat übrig bleibt. Auch kann es passieren, dass zwar mehrere Taten übrig bleiben (die Konkurrenzlehre also relevant bleibt), das Prüfungsprogramm aber erheblich reduziert wird! (= für uns Studis generell nichts Schlechtes). Es gibt folgende fünf Fälle, in denen man Gesetzeskonkurrenz annimmt:

1. Spezialität (Formeldarstellung: a = b + x)

Spezialität liegt vor, wenn ein Tatbestand vollständig in einem anderen Tatbestand enthalten ist, welcher seinerseits noch mindestens eine weitere Tatbestandsvoraussetzung aufweist. Dieser andere Tatbestand setzt sich dann durch.

 

Bsp.: § 249 gegenüber § 242 und § 240; § 244 gegenüber § 242; § 113 gegenüber § 240.

 

2. Subsidiarität (Formeldarstellung: b < a)

Subsidiarität tritt ein, wenn zwei oder mehrere Tatbestände einschlägig sind, wobei der eine intensiver bestraft als der andere. Es gibt formelle (= Gesetz ordnet Subsidiarität ausdrücklich an) und materielle Subsidiarität (= Subsidiarität ergibt sich aus dem Gesetzeszusammenhang).

 

Bsp.: §§ 145 d I, 246 I, 248 b I (formelle Subsidiarität); Versuch/Vollendung; Anstiftung/Täterschaft; Gefährdung/Verletzung; Fahrlässigkeit/vollendete Vorsatztat (materielle Subsidiarität)

 3. Konsumtion (Formeldarstellung: a + b = a)

Die Konsumtion bezeichnet solche Fälle, in denen die verdrängten Delikte typische Begleittaten des verdrängenden Deliktes sind.

 

Bsp.: §§ 123 und 303 I bei § 244 I Nr. 3; § 242 am Benzin bei § 248 b; § 303 I am Brief bei § 202

4./5. Mitbestrafte Vor-/Nachtat: (Formeldarstellung: b + A bzw. A + b)

Bei diesen Fällen handelt es sich um Vorbereitungs- oder Sicherungstaten, die vom Unrechtsgehalt der jeweiligen Haupttat abgedeckt werden.

 

Bsp.: Vortat: § 30 gegenüber Versuch oder Vollendung; § 242 an EC-Karte mit anschließenden § 263 a; Nachtat: § 267 I Var. 3 gegenüber Var. 1 bzw. 2 (str.); Sicherungsbetrug nach einem Diebstahl; § 246 nach Sparbuchdiebstahl

Nun noch einmal die klausurtaugliche Übersicht:

1. Gibt es mehrere Verletzungen eines Straftatbestandes?  wenn (-) Konkurrenzlehre irrelevant

wenn (+): 2. Handlungseinheit oder Handlungsmehrheit? (zur Konsequenz s.u.)

3. Besteht eine Gesetzesmehrheit wenn (-) Konkurrenzlehre irrelevant              

wenn (+) 4. Kommt die Gesetzeskonkurrenz zur Anwendung? wenn (-):

Ergebnis: Tateinheit (§ 52), wenn Frage 2 mit Handlungseinheit beantwortet wurde, andernfalls Tatmehrheit (§§ 53 - 55)