III. Dolus generalis

Innerhalb des dolus generalis (= Genrealvorsatz) werden insbesondere Fälle diskutiert, in denen der Täter einem Irrtum über den Zeitpunkt der Tatvollendung dergestalt unterliegt, dass er davon ausgeht, sein Opfer bereits durch die Ersthandlung getötet zu haben, es in Wirklichkeit aber erst durch die anschließende Zweithandlung stirbt. Es handelt sich dabei um sogenannte „zweiaktige“ (oder auch mehraktige) Fallkonstellationen, bei denen die Frage umstritten ist, inwieweit sich der Vorsatz des Täters noch auf die Zweithandlung erstreckt, also ob es sich um um zwei verschiedene Handlungen mit zwei verschiedenen Vorsätzen handelt oder um ein einheitliches Handlungsgeschehen.1

Es handelt sich streng genommen also nicht um eine Vorsatzform, sondern viel mehr um eine Frage der Tätervorstellung über den Kausalverlauf mehrerer Handlungen, die für die Vorsatzzurechnung bedeutsam ist.2 Es ist darüber hinaus zu beachten, dass der Begriff „dolus generalis“ derweilen lediglich der Kennzeichnung der obigen Fallgruppe dient und insoweit nicht leichtfertig mit ihrer rechtlichen Begründung gleichgesetzt werden darf. 3

Als klassischer Schulfall diene an dieser Stelle der sog. „Jauchegrube-Fall“, in dem der Täter davon ausgeht sein Opfer getötet zu haben, das Opfer in Wirklichkeit jedoch erst verstarb, als der Täter es, um die Leiche zu beseitigen, in eine Jauchegrube warf, in der das Opfer letztlich ertrank.4 Die Behandlung solcher Fälle erfolgt in der Literatur sowie in der Rechtsprechung weitgehend differenzierend.

Den Vertretern der heute überholten5 Lehre über den dolus generalis lassen dem Wortlaut nach in solchen Konstellationen einen Generalvorsatz genügen. Der Generalvorsatz erstreckt sich dabei nicht nur auf eine konkrete Handlung, sondern auf den gesamten Geschehensablauf. Der Täter wäre in dem Beispielfall nach dieser Ansicht aus dem vollendeten Delikt zu bestrafen. Daher ist auch von einer früheren Vollendungslösung die Rede. Begründend wird angeführt, dass es sich bei dem Verbergen der Leiche (eigentliche Zweithandlung) lediglich um einen unselbstständigen Teilakt der einheitlichen Gesamthandlung sei.6

Kritische Stimmen lassen jedoch verlauten, dass diese Lösung insbesondere nicht mit dem Kogruenzprinzip (Koinzidenzprinzip) oder terminologisch anders mit dem sogenannten „Simultanitätsprinzip“ vereinbar sei, nach welchem der Vorsatz zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Handlung vorliegen muss. Man würde also den ursprünglichen Tötungsvorsatz auf die spätere Handlung ausdehnen, bei denen er nicht mehr bestand.7
Sowohl Rechtsprechung als auch Teile der Literatur lösen derartige Fälle über die Regeln des „Irrtums über den Kausalverlauf“ und behandeln zweiaktige Konstellationen als dessen Sonderform.8

Ein solcher Irrtum liegt allgemein grundsätzlich dann vor, wenn sich der Täter über die Art und Weise der Herbeiführung eines angestrebten Erfolges irrt.9 Dabei bleiben geringfügige bzw. unwesentliche Abweichungen zwischen vorgestelltem und tatsächlich eingetretenem Kausalverlauf unbeachtlich. Zu begründen sei dies damit, dass ein Täter den Kausalverlauf niemals exakt und in all seinen Einzelheiten voraussehen kann.10 Darüber hinaus, müsse der Vorsatz, wie allgemein anerkannt, nicht bis zum Ende „durchgehalten“ werden.11

Diese Ansicht macht sich eben diese Regeln zu eigen und knüpft insoweit an die Ersthandlung an und fragt, ob es sich bei dem erst durch die Zweithandlung eingetretenen Erfolg um einen wesentlichen oder unwesentlichen Irrtum über den Kausalverlauf handelt.12 Handelt es sich also um eine unbeachtliche Abweichung vom Kausalverlauf, wird der Täter nach dieser Ansicht aus dem vollendeten Delikt bestraft. Insoweit wird auch von der (neuen) Vollendungslösung gesprochen.

Demgegenüber wird von einem Teil der Literatur auf die sog. Versuchslösung abgestellt. Diese Ansicht behandelt zweiaktige Fallkonstellationen grundsätzlich getrennt von einander. Es wird folglich nicht an die Ersthandlung angeknüpft. Im Ergebnis liegt dann hinsichtlich der Ersthandlung lediglich ein versuchter Totschlag (Mord) gemäß §§ 212 (211), 22, 23 StGB vor und in Bezug auf die zweite Handlung allenfalls eine fahrlässige Tötung gemäß § 222 StGB, die einen weitaus niedrigeren Strafrahmen zur Folge hätte. Begründend wird argumentiert, dass der Täter seinen Vorsatz durch die Ersthandlung gerade nicht verwirklicht (da er den Tod des Opfers anstrebt, dieser zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht eintritt und sich im Tod die vom Täter geschaffene Gefahr also nicht realisiert hat) und folglich im Versuchsstadium stecken bleibt. Die Bestrafung aus dem Fahrlässigkeitsdelikt ergibt sich dann daraus, dass sich der Täter bei der Zweithandlung derart geirrt hat, dass er das Opfer für eine Leiche gehalten hat und insoweit keine Kenntnis des Tatbestandsmerkmal „Mensch“ des § 212 StGB gehabt hatte.13

Kritisiert wird jedoch auch hier, dass der Vorsatz nicht während der gesamten Tat bis zur Vollendung hin anhalten muss.14

Die differenzierende sog. Tatplan-Theorie versucht sich derweilen eines anderen Weges. Demnach soll eine unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs und mithin eine Bestrafung aus dem vollendeten Delikt nur dann gegeben sein, wenn sich die Zweithandlung als Verwirklichung des ursprünglichen Tatplans darstellt. Die soll weiter nur dann der Fall sein, wenn der Täter nicht nur mit Eventualvorsatz, sondern viel mehr mit Tötungsabsicht handelt.15 Es wird dabei darauf abgestellt, dass derjenige, der mit Absicht tötet, zumeist von vornherein auch den Zweitakt plant, in dem er die Leiche beseitigen muss. Handelt der Täter jedoch lediglich mit Eventualvorsatz und hofft dabei, dass der Erfolg ausbliebe, wird er sich idR. auch keine Gedanken darum machen, die Leiche zu beseitigen.16

Doch auch diese Theorie bleibt nicht ohne Kritik. So wird konstatiert, dass es nicht sinnvoll erscheint, die Frage der Wesentlich- oder Unwesentlichkeit von der Vorsatzform abhängig zu machen.17

  • 1. Rengier, AT, 3 15, Rn. 51f.; Heinrich, AT, Rn. 287.; Welzel, S. 61.; idS. auch Kühl, AT, § 13, Rn. 46 iVm. § 5, Rn. 101f.; Roxin, AT I, § 12, Rn. 174ff.
  • 2. BGH NStZ 02, 309; Fischer, § 15, Rn. 11.
  • 3. so Roxin, AT I, § 12, Rn. 175.)
  • 4. BGHSt 14, 193.; anführend auch Sowada, Jura 04, 814.; Heinrich, AT, Rn. 287.; Rengier, AT, § 15, Rn 53.
  • 5. so auch BGHSt 14, 193.; Heinrich, AT, Rn. 288.
  • 6. vertreten von Welzel, S. 61f.
  • 7. BGHSt 14, 193, Roxin, AT I, § 12, Rn. 175.; ähnlich Krey/Esser, AT, § 12, Rn. 428.; Heinrich, AT, Rn. 288.
  • 8. vertreten von Sch/Sch/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 58.; Heinrich, AT, Rn, 288 iVm. 1088ff.; BGHSt 14, 193f.; Rengier, AT, § 15, Rn. 57.; Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 262.
  • 9. BGHSt, 23, 133.; Heinrich, AT, Rn. 1088.
  • 10. BGHSt 7, 325 (329).; BGHSt 14, 193 (194).; Kühl, AT, § 13, Rn. 41.; Rengier, AT, § 15, Rn. 11.
  • 11. Rengier, AT, § 15, Rn. 57 iVm. § 14, Rn. 61f.
  • 12. Heinrich, AT, Rn. 288.; Rengier, AT, § 15, Rn. 56.
  • 13. vertreten von Kühl, AT, § 13, Rn. 48.; Satzger/Schmitt/Widmaier/Momsen, §§ 15, 16, Rn. 33.; Kindhäuser, AT, § 14, Rn. 37 iVm. § 27, Rn. 44.
  • 14. Roxin, AT I, § 12, Rn. 179.
  • 15. vertreten von Roxin, AT I, § 12, Rn. 179ff.
  • 16. Roxin, AT I, § 12, Rn. 180.
  • 17. Jäger, AT, § 3, Rn. 87.; Rengier, AT, § 15, Rn. 58.