III. Dolus eventualis - Eventualvorsatz
Der Eventualvorsatz stellt die schwächste Form des Vorsatzes und in der gerichtlichen Praxis den häufigsten Fall dar und ist grundsätzlich für die Annahme des Vorsatzes gemäß § 15 StGB ausreichend, sofern das Gesetz nicht Absicht oder Wissentlichkeit ausdücklich anordnet.1 Häufig wird der Eventualvorsatz auch als bedingter Vorsatz umschrieben, was bei einigen Stimmen in der Literatur auf Kritik stößt.2 Angeführt wird insoweit, dass der Vorsatz gerade einen unbedingten Handlungswillen voraussetzt. Der Täter will, indem er seinen Handlungswillen ausführt „unter jeder Bedingung“ die Tatbestandsverwirklichung bewirken. Der Vorsatz ist also gerade nicht vom Eintritt einer Bedingung abhängig. Allein der Erfolgseintritt könnte von solch ungewissen Bedingungen abhängen.3 Daraus folgt, dass bedingtes Wollen mit innerer Unentschlossenheit gleichzusetzen ist und somit keinen Vorsatz darstellen kann. Dagegen ist der Vorsatz begründet, wenn der Täter zur Tat entschlossen ist, den letztlichen Eintritt des Erfolges jedoch von weiteren Umständen abhängig macht.4
Als vertiefendes Beispiel dient hier der Fall, dass E seine Verlobte V, die ihn verlassen will, zu einer letzten Aussprache zu sich einlädt. Er ist entschlossen V zu töten, sollte sie ihre Meinung nicht ändern.5
Das wichtigstes Merkmal des Eventualvorsatzes und zugleich Unterschied zu den direkten Vorsatzformen ist dahingehend auszumachen, dass der Eventualvorsatz häufig gar kein dominantes Vorsatzelement aufweist. Das bedeutet, dass sowohl das kognitive also auch das voluntative Element schwach ausgeprägt ist. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig der Fall sein. Grundsätzlich muss aber mindestens eines der beiden Elemente in lediglich schwacher Ausprägung vorhanden sein.6Daraus ergibt sich, dass ein Täter dann mit Eventualvorsatz handelt, wenn er die Tatbestandsverwirklichung weder anstrebt noch für sicher, sondern lediglich für möglich hält (kognitiv) und sich mit dem Eintritt abfindet (voluntativ).7
Gleichbedeutend mit dem voluntativen (schwach ausgeprägten) Vorsatzelement namentlich das „Sichabfinden“ sind insoweit Bezeichnungen wie „billigend in Kauf nehmen“ des Erfolgseintritts oder „damit einverstanden sein“.8
Die Funktion des Eventualvorsatzes bezieht sich insbesondere auf die umstrittene Abgrenzung von vorsätzlich hin zu (bewusst) fahrlässig begangenen Taten. Diese Form des Vorsatzes stellt insoweit also die „Untergrenze“ dessen dar, was noch als vorsätzlich gewertet werden kann. Es stellt sich dann die Frage, welche Anforderungen sowohl an das Wollens- als auch an das Wissenselement zu stellen sind, um den Vorsatz gemäß § 15 StGB noch annehmen zu können (siehe dazu den Abschnitt C. Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit).9
In der strafrechtlichen Fallbearbeitung übernimmt die Unterscheidung zwischen den einzelnen Vorsatzformen zumeist keine eigenständige Bedeutung. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Gesetz lediglich „vorsätzliches Handel“ gemäß § 15 StGB fordert, wofür grundsätzlich der Eventualvorsatz genügt. Das betrifft die meistens Strafnormen des StGB. Lediglich dann, wenn ein Straftatbestand den Vorsatz ausdrücklich auf eine bestimmte Vorsatzform einschränkt, ist eine solche Unterscheidung angebracht. Ansonsten ist also grundsätzlich der Eventualvorsatz zu prüfen und ggf. zu der bewussten Fahrlässigkeit abzugrenzen.10
Ob eine spezielle Vorsatzform namentlich Absicht oder Wissentlichkeit gefordert wird, ergibt sich aus dem Wortlaut der in Rede stehenden Norm. In solchen Fällen genügt das alleinige Vorliegen des Eventualvorsatzes demnach nicht. Beide Formen des direkten Vorsatz stehen sich gleichwertig gegenüber. Praktische Bedeutung erlangt die Unterscheidung also nur dort, wo einzelne Tatbestände die jeweiligen Vorsatzform ausdrücklich anordnen.11 So verwendet das Gesetz gleichbedeutend mit dem Begriff der Absicht (absichtlich) oft die Formulierung „um zu“.12 Dennoch sei Vorsicht dort geboten, wo das Gesetz von besonderen Absichten wie zB. der Zueignungsabsicht des § 242 StGB (Diebstahl) oder der Bereicherungsabsicht des § 263 StGB (Betrug) spricht. Dabei handelt es sich, wie oben bereits erwähnt, um „sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale“ mit eigenständigen Charakter.13 Ist jedoch Wissentlichkeit gefordert, verwendet das Gesetz Begrifflichkeiten wie „wider besseren Wissens“ oder recht eindeutig „wissentlich“.14
- 1. Krey/Esser, AT, Rn. 386., Satzger/Schmitt/Widmaier/Momsen, §§ 15, 16, Rn. 44.; S. auch Heinrich, AT, Rn. 285.
- 2. vgl. vor allem Roxin, AT I, § 12, Rn. 24.; Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 215.; Krey/Esser, AT, § 12, Rn. 386.; Rengier, AtT, § 14, Rn. 11.
- 3. Roxin, AT I, § 12, Rn. 24.; ähnlich auch Krey/Esser, AT, § 12, Rn. 386., Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 215.
- 4. Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 215.
- 5. Krey/Esser, AT, § 12, Rn. 386.; ähnlich auch BGHSt 21, 14.
- 6. idS. Heinrich, AT, Rn. 285.; Satzger/Schmitt/Widmaier/Momsen, §§ 15, 16, Rn. 44.
- 7. Heinich, AT, Rn. 285.; Rengier, AT, § 14, Rn. 10.; idS. Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 214.; ähnlich Fischer, § 15, Rn. 9.
- 8. so auch Rengier, AT, § 14, Rn. 10.; Vgl. auch Heinrich, AT, Rn. 285.
- 9. Satzger/Schmitt/Widmaier/Momsen, §§ 15, 16, Rn. 44.; ähnlich auch, Krey/Esser, AT, § 12, Rn. 386.
- 10. Rengier, AT, § 14, Rn. 14.; idS. auch Heinrich, AT, Rn. 278.
- 11. Sch/Sch/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 69.
- 12. Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 212.; Lackner/Kühl, § 15, Rn. 20.
- 13. Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 212.; Rengier, AT, § 14, Rn. 16.
- 14. Kindhäuser, AT, § 14, Rn. 10.; Rengier, AT, § 14, Rn. 15.; Sch/Sch/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 69.