II. Dolus alternativus

Der dolus alternativus umschreibt dagegen Sachverhalte, in denen es der Täter bei Tatbegehung für sicher hält oder ernstlich damit rechnet, einen von zwei sich prinzipiell ausschließenden Tatbeständen zu erfüllen. Dabei muss er sich zumindest mit beiden Alternativen abfinden. Der Täter rechnet also mit einer Rechtsgutsverletzung eines von mehreren Opfern, wobei er nicht weiß, bei welchem sie tatsächlich eintreten wird. Kurzum rechnet der Täter damit, entweder den einen oder den anderen Tatbestand zu verwirklichen.1

Zur Verdeutlichung dieser Problematik sei abermals ein Beispielfall dergestalt anzuführen, dass Wilderer W seine einzige Kugel im Gewehr abfeuert, um den ihn verfolgenden Jäger (§ 212 StGB) oder wenigstens dessen Jagdhund (§ 303 StGB) zu töten.2

Die problematische und mithin umstrittene Frage zielt dann insoweit darauf ab, ob sich der Täter neben der letztlich vollendeten Tat auch des Versuchs bezüglich des unverletzten Rechtsguts schuldig gemacht hat. Sprich, wenn der W den J trifft und dieser stirbt, er neben dem vollendeten Totschlag nach § 212 StGB auch wegen versuchter Sachbeschädigung nach §§ 303, 22, 23 StGB zu bestrafen wäre. Eben diese Frage wird in der Literatur weitgehend unterschiedlich behandelt.3

Die wohl herrschenden Meinung nimmt in solchen Fällen an, dass der Vorsatz des einen Delikts nicht durch den Vorsatz bezüglich des anderen Delikts beeinflusst wird. Alternative Vorsätze können demnach nebeneinander bestehen. Daraus folgt, dass der Täter in solchen Konstellationen sowohl aus dem vollendeten als auch aus dem versuchten Delikt zu bestrafen ist. Beide Delikte stehen dann zumeist in Tateinheit zueinander, soweit keine Subsidiarität vorliegt. Nach dieser Meinung würde das Problem folglich auf der Eben der Konkurrenzen angesiedelt und gelöst werden.4 Bleiben beide Erfolge aus, kommt nach dieser Ansicht Tateinheit zwischen den versuchten Delikten in Betracht.5

Demgegenüber soll der Täter nach einer anderen Auffassung, im Falle dessen, dass der Erfolg eintritt, lediglich aus dem vollendeten Delikt bestraft werden. Bleiben beide alternativ für möglich gehaltene Erfolge jedoch aus, liegen folglich also zwei Versuche vor, soll von der leichteren Deliktsalternative ausgegangen werden. Daraus würde dann weiter eine Strafbarkeit des Täters ganz entfallen, sollte der Versuch straflos bleiben.6

Kritisiert wird, dass das vom Täter verwirklichte Unrecht dadurch nur in einem unzureichenden Maße erfasst würde. Es leuchtet nicht ein, lediglich wegen versuchter Sachbeschädigung zu bestrafen anstatt wegen versuchten Totschlags, wenn der Täter sowohl damit rechnete einen Hund (= Sache) als auch einen Menschen zu töten. Ebenso nicht plausibel erscheint es, den Täter nur aus vollendeter Sachbeschädigung zu bestrafen, wenn er doch zu einem versuchten Totschlag ansetzte.7

Um diesen Kritiken entgegenzuwirken, hat sich eine weitere Ansicht herausgebildet, welche den Täter generell aus dem schwersten Delikt zu bestrafen gedenkt. Dies soll darüber hinaus unabhängig davon gelten, ob der Täter das Delikt vollendet hat oder diesbezüglich lediglich ein Versuch vorliegt. Im obigen Beispielfall würde der Täter folglich wegen versuchten Totschlags bestraft werden wohingegen das vollendete Delikt der Sachbeschädigung durch Tötung des Hundes nicht länger beachtlich wäre.8

Kritisiert wird jedoch, dass im Zweifel nicht gänzlich auf das vollendete Delikt verzichtet werden kann, zumal das Gesetz nicht ausschließlich auch den Versuch mit Strafe bedroht.9

Einen weiteren Mittelweg versucht daher die sog. Kombinationslösung zu beschreiten, nach der der Täter grundsätzlich aus dem vollendeten Delikt zu bestrafen ist, jedoch dann Tateinheit mit dem versuchten Delikt angenommen wird, wenn eben dieses einen wesentlich schwerer wiegenden Unrechtsgehalt aufweist als das vollendete Delikt. Dies soll darüber hinaus auch dann gelten, wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Rechtsgutsträger betroffen sind. Liegen lediglich zwei versuchte Taten vor, ist lediglich wegen Versuchs aus dem schwersten Delikt zu bestrafen, sofern dadurch der Unrechtsgehalt der Tat angemessen erfasst wird.10

Doch auch diese Ansicht stößt in der Literatur auf Kritik dahingehend, dass nach der Kombinationslösung häufig Tateinheit anzunehmen sei und dies nach weitgehend unbestimmten Maßstäben, da nicht dargelegt wird, unter welchen Umständen „der Unrechtsgehalt der Tat“ genau erfasst wird.11

Eine dem gegenüber stehende Ansicht geht davon aus, dass die Tätervorstellung bezüglich jeden für alternativ möglich gehaltenen Taterfolg davon geprägt sei, dass die Verwirklichung des Erfolges „A“ von der Nichtverwirklichung des Erfolges „B“ abhängt, sich also gegenseitig ausschließt. Die einzelnen Perspektiven ( A und B ) jedoch, die sich von einander abgeschichtet betrachtet auf Erfolg A und davon unabhängig auf Erfolg B beziehen, beinhalten jeweils den Vorsatz, den Erfolg A und den Erfolg B herbeizuführen. Es existiert also eine Perspektive A mit dazugehörigen Erfolgs A, sowie eine Perspektive B und Erfolg B. Innerhalb der einen Perspektive (A) wird dann der Vorsatz zur Herbeiführung des jeweils anderen Erfolges (B) notwendigerweise ausgeblendet. Tritt innerhalb der Perspektive A also auch der Erfolg ein, liegt ein vollendetes Delikt vor. Eine Strafbarkeit wegen Versuchs bezüglich der Perspektive B ist demnach ausgeschlossen, da der Vorsatz (bezüglich B) nicht in der Perspektive A vorkommt. Tritt dagegen nicht Erfolg A sondern Erfolg B ein, kann der Täter dann auch nicht aus dem Vorsatzdelikt bestraft werden, sondern lediglich aus dem Fahrlässigkeitsdelikt, sofern das Gesetz ein solches vorsieht. Das Fahrlässigkeitsdelikt würde dann in Tateinheit mit dem versuchten Delikt aus der Perspektive A stehen. Handelt es sich sowohl bei A als auch bei B um einen Versuch, kommt eine versuchte Begehung hinsichtlich Perspektive A in Betracht.12

  • 1. Krey/Esser, AT, § 12, Rn. 403.; Schmitz, NStW 112 (2000), 301.; Fischer, § 15, Rn. 11.; Rengier, AT, § 14, Rn. 48.; Kühl, AT, § 5, Rn. 27a.; Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 231.; Heinrich, AT, Rn. 292.; Roxin, AT I, § 12, Rn. 93.
  • 2. Kühl, AT, § 5, Rn. 27a.; Krey/Esser, AT, § 12, Rn. 403.; Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 231.
  • 3. Schmitz, NStW 112 (2000), 301.; Krey/Esser, AT, § 12, Rn. 403.
  • 4. vertreten von NK/Puppe, § 15, Rn. 115.; Fischer, § 15, Rn. 11.; Sch/Sch/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 90ff.; Jakobs, AT, 8, Rn. 33.; Roxin, AT I, § 12, Rn. 94.
  • 5. Fischer, § 15, Rn. 11.; Sch/Sch/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 90ff.; Roxin, AT I, § 12, Rn. 94.
  • 6. Maurach/Zipf, AT (6. Aufl.), § 22, Rn. 27.
  • 7. Schmitz, NStW 112 (2000), 301 (308f.
  • 8. Otto, AT, (5. Aufl.), § 7, Rn. 24.; Schneider in GA 56, 257 (259ff.).; LK/Vogel, § 15, Rn. 136.; Kühl, AT, § 5, Rn. 27b.
  • 9. Schmitz, NStW 112 (2000), 301 (309).; m.w.N. Auch Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 233.
  • 10. Wessels/Beulke, AT, § 7, Rn. 234ff.; zustimmend Maurach/Zipf (8. Aufl.), § 22, Rn. 27.
  • 11. Schmitz, NStW 112 (2000), 301 (311).
  • 12. Joerden, NstW 95 (1983), 565 (589).