A. Einführung - Was ist eine Willenserklärung

1. Die rechtliche Wirksamkeit von privaten Willensäußerungen als Grundlage des Rechtverkehrs

Die erste Frage, die wir uns stellen wollen, ist die nach dem rechtlichen Gehalt von privaten Aussagen. Nicht jede Äußerung von Privatpersonen untereinander ist auf die Herbeiführung einer rechtlichen Folge für den Einzelnen gerichtet, es können auch lediglich gesellschaftliche oder soziale Folgen beabsichtigt werden, die keinerlei rechtliche Bedeutung haben.1

Beispielfall A: Helga (H) fragt ihre Freundin Emma (E), ob sie mit ihr heute Abend zusammen ins Kino gehen will. E erklärt daraufhin am Telefon H, dass sie „auf Jeden Fall mit ihr zusammen ins Kino geht!“. Kurz vor dem vereinbarten Termin fällt E ein, dass sie sich heute Abend um den kranken Hund der Nachbarin kümmern sollte. Daraufhin sagt sie die Verabredung mit H ab.

Beispielfall B:E und H sind doch ins Kino gegangen. An der Kinokasse erklärt E gegenüber dem Verkäufer: „Zwei Karten bitte für Film XY.“ Am Popcornstand fällt E ein, dass sie doch auf den kranken Hund der Nachbarin aufpassen sollte. E läuft zurück zur Kasse und sagt „Ich möchte die Karten doch nicht mehr haben!“

Der Unterschied liegt hier im Vorhandensein des Rechtsbindungswillens, dem Willen also, sich rechtlich an das beabsichtige Vorhaben oder Geschäft binden zu wollen.2 Im Beispielfall A ist E keine rechtliche Verpflichtung gegenüber H eingegangen. Vielmehr möchte sie mit ihrer Aussage lediglich eine soziale Folge, den gemeinsamen Kinobesuch, erreichen. Einen rechtlich einklagbaren Anspruch auf den Kinobesuch hat H durch die Aussage der E nicht erhalten. Im Beispielfall B sieht die Sache jedoch anders aus: Durch die Erklärung der E, die Kinokarten für Film XY haben zu wollen, könnten sich verbindliche Rechtsfolgen, also rechtlich zu tragende Konsequenzen ergeben haben. Beim Kauf der Kinokarten im Beispielfall würde eine Verpflichtung dahingehend bestehen den Kaufpreis für die Karten zu zahlen und diese auch abzunehmen (siehe § 433 II BGB). Auch der plötzliche Sinneswandel und die damit verbundene Erklärung der E, die Karten nun doch nicht mehr haben zu wollen, könnte Rechtsfolgen auslösen. Wann also lösen bestimmte Erklärungen oder auch Handlungen Rechtsfolgen aus und wann nicht?

Dies wird durch die Auslegung der Erklärung im Sinne der Verkehrsanschauung geprüft3. Die Erklärung ist also dahingehend zu untersuchen, ob der-oder diejenige einen Rechtsbindungswillen, den Willen also, sich mit dem Erklärten rechtlich binden zu wollen, bei der Erklärung zu Ausdruck bringen wollte.4 Bei der Prüfung, ob ein Rechtsbindungswille bei einer privaten Äußerung vorliegt, ist jedoch nicht allein auf den wörtlichen Ausdruck abzustellen. Das BGB gibt dabei vor: Nach § 133 BGB ist nicht am „buchstäblichen Sinne“ der Erklärung zu haften, sondern der „wirkliche Wille“ „zu erforschen“.

2. Erklärungstheorie oder Willenstheorie – Geltungsgrund der Willenserklärung

Beispielfall C: Steffen Scheinbar (S) surft im Internet auf der Suche nach Möglichkeiten, um Unsinn zu treiben. Als er auf der Plattform eines berühmten Internetauktionshauses landet, denkt er sich einen neuen Scherz aus: Bei den Waren des Händlers Valentin (V) möchte er „einfach mal mitbieten“ um den Preis für die anderen Bieter in die Höhe zu treiben („aus Spaß“). Bei einem Rennrad gibt er ein Angebot in Höhe von 1500,00€ ab. Er wird von der Seite mehrmals zur Bestätigung des Angebots aufgefordert. Nach Ablauf der Bieterfrist erhält S eine Mail, dass er den Zuschlag für das Rad bekommen hat, mit der Aufforderung, auf das angegebene Konto des V den Betrag zu bezahlen. S erklärt: „Mein Angebot war doch nicht ernsthaft gemeint. Das Rennrad muss ich deswegen sowieso nicht zahlen!“ Zu Recht?

Die Willenserklärung besteht nicht nur aus dem eigentlichen Kundgabeakt (=der Erklärung), sondern auch aus der inneren Einstellung des Erklärenden (=dem Willen).5 Der Streit, welches von beiden Elementen bei der rechtlichen Betrachtung der Willenserklärung ausschlaggebend sein soll, der Geltungsgrund der Willenserklärungen, ist seit der Einführung des BGB mit den §§ 133 und 145 hinfällig geworden.6 Verständnishalber möchten wir hier ihn kurz ausführen:

Für die Anhänger der Erklärungstheorie stand die Form der Kundgabe der Willenserklärung im Vordergrund.7 Solange also eine nach außen hin, für den Empfänger wahrnehmbare Erklärung bestand, musste dies vom Erklärenden so hingenommen werden, unabhängig davon, ob dieser das Erklärte auch rechtlich gewollt hatte. Das Argument dafür liegt auf der Hand: Wenn alles, was im Rechtsverkehr erklärt wird, auch rechtlich wirksam für den Erklärenden wird, dann sorgt das natürlich für eine hohe Sicherheit gegenüber dem Empfänger als Betroffenen der Willenserklärung. Demnach müsste im Beispielfall C S das Rad abnehmen und den Kaufpreis dafür zahlen, nachdem er mit der Eingabe seiner Kaufdaten und dem Abschicken eine Erklärung in „die Welt gesetzt“ hat.

Die Gegenposition dazu formuliert die sogenannte Willenstheorie.8 Entscheidend war den Vertretern dieser Theorie allein der innere Wille des Erklärenden. Dadurch konnten natürlich Gerechtigkeitslücken, die sich durch die Anwendung der Erklärungstheorie zweifellos ergeben vermieden werden, in dem jeder Erklärende auch nur an das rechtlich gebunden ist, was dieser innerlich gewollt hat. Wenn wir die Willenstheorie auf unseren Beispielfall C anwenden steht S natürlich gut da: Er hatte sich innerlich vorbehalten, dass Angebot nur zum Scherz abzugeben. Nach dieser Auffassung hat V nun auch keinen Anspruch gegen ihn.

Wie schon angedeutet, konnte sich schlussendlich keine der beiden Theorien durchsetzen. Das BGB setzt vielmehr auf eine Verbindung der beiden daraus, die sogenannte Geltungstheorie.9 Diese sieht die Wirksamkeit einer Willenserklärung im Zusammenwirken beider Elemente (Wille+Erklärung). Laut der Geltungstheorie kann es bei Willenserklärungen nicht nur darauf ankommen, den inneren Willen des Erklärenden zu berücksichtigen. Vielmehr muss auch geprüft werden, wie der Empfänger der Erklärung diese Äußerung nach der Verkehrssitte verstehen durfte – man stellt also auf den Empfängerhorizont ab.10 Weichen jedoch Wille und Erklärung voneinander ab, so hat der Einzelne die freie Möglichkeit, die Wirksamkeit seiner (für ihn falsch) abgegebene Erklärung unter anderem durch das Mittel der Anfechtung aufzuheben.

Auch nach der Geltungstheorie hat S im Beispielfall C ein wirksames Rechtsgeschäft abgeschlossen: Zwar hatte er sich vorbehalten, diese Erklärung nur zum Scherz abzugeben, jedoch hat er durch die Bestätigung des Gebots für das Rad eine, für V ersichtliche, Willenserklärung abgegeben. Nach der Verkehrssitte, also der allgemeinen Auffassung die im jeweiligen Rechtsgeschäft üblich ist, durfte V die Handlungen des S so verstehen, dass der Höchstbietende bei seinen Waren für diese auch tatsächlich bereit ist den Kaufpreis zu zahlen und diese abzunehmen.

  • 1. Medicus Rn. 185.
  • 2. Musielak Rn. 43
  • 3. BGHZ, 21, 102
  • 4. Schwab/Löhnig: Rn.: 466; Bork: Rn.: 566.
  • 5. Boemke/Ulrici: §5 Rn.: 1.
  • 6. Kramer in MüKomm: Vor § 116: Rn.: 4.)
  • 7. Larenz/Wolf: § 24, Rn.: 26.
  • 8. vgl. Kramer in MüKomm: Vor § 116: Rn.: 4.
  • 9. Boemke/Ulrici: §5 Rn.: 2.
  • 10. BGHZ, 91, 328; BGH in NJW, 1996, 1889; Bork: BGB AT, Rn.: 579; Larenz/Wolf: § 24, Rn.:29.