E. Rechtswidrigkeit und Fahrlässigkeit

Wie bei den Vorsatzdelikten kann der Täter auch bei den Fahrlässigkeitsdelikten gerechtfertigt handeln, sodass keine rechtswidrige Tat vorliegt. In Betracht kommen die §§ 32, 34 StGB, das Festnahmerecht nach § 127 StPO oder eine Einwilligung. Die Rechtfertigung ist vor allem bei solchen Tatbestandsverwirklichungen gegeben, die der Täter auch vorsätzlich begehen dürfte, wie zum Beispiel eine Notwehrhandlung bei einem Angriff.1 § 32 StGB soll im Folgenden mit einem Beispiel verdeutlicht werden. Weitere Beispiele sind § 34 StGB, der dann in Betracht kommt, wenn jemand, um von sich eine Lebensgefahr abzuwenden, eine riskante Aktion durchführt, durch die dann ein anderer verletzt wird. Eine Einwilligung ist in den Fällen der einverständlichen Fremdgefährdung bedeutsam.2

Beispiel für § 32 StGB: D greift den O an, um ihn auszurauben. Der O ist jedoch Sportschütze und hat eine geladene Pistole in der Tasche. O gibt mehrere Warnschüsse ab, von denen D jedoch nicht abgeschreckt wird. O gibt einen letzten Warnschuss ab, der den D ins Bein trifft.

In diesem Fall hat O ohne Körperverletzungsvorsatz geschossen, somit ist § 229 StGB zu prüfen. Die objektive Sorgfalspflichtverletzung wäre zunächst das Abfeuern von Warnschüssen in der Nähe von Menschen. Im vorliegenden Fall muss sie aber verneint werden, da die Tat von O durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt ist und er den D auch vorsätzlich hätte verletzen dürfen.3

Eine weitere Strittigkeit findet sich bei der Frage nach der Erforderlichkeit eines subjektiven Rechtfertigungselements. Die Struktur der Rechtfertigungsgründe spricht eigentlich dafür. Allerdings ist die bei Vorsatzdelikten geforderte Rechtfertigungsabsicht beim Fahrlässikgkeitsdelikt fehl am Platz, denn der Fahrlässigkeitstäter führt den Erfolg gerade nicht mit Wissen und Wollen der Tatbestandsmerkmale herbei. Ein Großteil der Lehre lehnt das subjektive Element deshalb ganz ab, andere argumentieren mit einem modifizierten Element, nämlich, dass wenigstens ein genereller Abwehrwille beim Täter vorliegen muss.4 Der Streit über das subjektive Rechtfertigungselement ist im Ergebnis allerdings unbeachtlich, weil selbst dessen Fehlen nur zu einem fahrlässigen Versuch führen würde, der nicht strafbar ist.5

  • 1. BGH NJW 2001, 3200, 3201
  • 2. Wessels/Beulke Rn. 691
  • 3. Wessels/Beulke Rn. 691; Rengier § 52 Rn. 74
  • 4. Jungclaussen, Die subjektiven Rechtfertigungselemente beim Fahrlässigkeitsdelikt, 1987, S. 174 ff.
  • 5. Stratenwerth/Kuhlen § 15 Rn. 38 ff.; Krey/Eser Rn. 1364; Roxin § 24 Rn. 98 ff.