E. Kontrahierungszwang

Als Grundlage der Privatautonomie hat jeder, der einen Vertragsschluss herbeiführen möchte, die Freiheit zu entscheiden, ob und mit wem er kontrahieren möchte. Damit kann er eben auch einen Vertrag ablehnen. Obwohl damit ein großer Eingriff in die Vertragsfreiheit vorgenommen wird, ist das Gesetz in manchen Fällen gezwungen, eine rechtliche Verpflichtung zum Vertragsschluss vorzugeben (sogenannter Kontrahierungszwang). Dies ist der Fall, wenn es dem Schutz der Partei dient, die einen Vertrag schließen möchte. Nötig ist der Zwang zum Vertragsschluss dann, wenn der Interessent aufgrund der Monopolstellung eines Unternehmen nicht auf einen anderen Anbieter zurückgreifen kann und wenn es sich um ein wichtiges Gut der Grundversorgung wie Wasser oder Strom handelt. Öffentlich-rechtliche und auch private Monopol-Unternehmen sind daher gezwungen mit jedermann einen Vertrag zu schließen, wofür es spezialgesetzliche Vorschriften gibt. Eine andere Rechtsgrundlage stellt § 826 BGB dar, der bei einer sittenwidrigen Verweigerung der Leistung Schadensersatz verlangt, indem der Monopolist mit dem Interessenten den gewünschten Vertrag schließt.1


Problematisch sind die Fälle, in denen es nicht um lebensnotwendige, sondern „nur“ um bedarfsdeckende Güter handelt. Als Beispiel folgender Fall:

Beispiel 5: Marianne möchte sich eine Karte für das Theaterstück „Rote Rosen“ im Sommerprogramm des städtischen Theaters kaufen. Beim letzten Sommertheater schrieb sie einen Beitrag für die lokale Zeitung, in dem das Stück „Erdbeersahneschnitte“ nicht allzu gut wegkam. Da der Kartenverkäufer Mariannes Nachbar (Peter) ist, kennt er deren kritischen Beitrag und weigert sich, der Marianne eine Karte zu verkaufen. Zu Recht?

Lösung zu Beispiel 5: In einem Fall wie dem städtischen Theater handelt es sich nicht um ein typisches Unternehmen zur Daseinsversorgung, der Theaterbesuch ist nicht lebensnotwendig. Grundsätzlich ist ein Unternehmen wegen § 826 BGB nicht dazu verpflichtet, mit jedermann einen Vertrag zu schließen. Hier geht es jedoch um einen Monopolmissbrauch: Das Stadttheater hat die Monopolstellung für eine öffentliche Versorgungsleistung. Marianne kann nicht auf ein anderes Theater zurückgreifen. Peter jedoch verweigert in willkürlicher Weise und ohne sachlichen Grund den Abschluss eines Vertrages mit Marianne. Das Verfassen eines kritischen Beitrags in der Tageszeitung ist von der Meinungsfreiheit umfasst, nicht nur, weil es Mariannes Meinung preisgibt, sondern auch, weil das Schreiben kritischer Artikel zu den Aufgaben der Presse gehört. Dies muss das städtische Theater akzeptieren. Die beiden Voraussetzungen für die Anwendung des § 826 BGB sind also erfüllt: Das Theater hat eine Monopolstellung und verweigert in sittenwidriger Weise den Vertragsabschluss. Marianne hat demnach einen Anspruch auf das Abschließen eines Vertrags für die Vorstellung „Rote Rosen“.

  • 1. Köhler, § 8, Rn.45 f; Rüthers/Stadler, § 3, Rn. 11.