dd) Pflichtgemäßes und sozialadäquates Verhalten im Verkehr
Fraglich ist jedoch die Behandlung von Fällen, in denen Kraftfahrer nicht fahrlässig (oder gar vorsätzlich) handeln, sondern sich verkehrsgerecht und sozialadäquat verhalten und vielmehr der verletzte Teilnehmer inadäquat handelt.
Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass an dieser Stelle eine Garantenstellung aus Ingerenz zu verneinen ist.1 Zwar ist die Tatsache, dass die Schuld beim Opfer liegt, ein weiteres Argument für die Ablehnung einer Garantenstellung, jedoch kommt es im Ergebnis nicht darauf an. Auch im Falle dessen, dass sowohl „Täter“ und Opfer unschuldig sind, würde sich keine Garantenpflicht kraft Ingerenz ergeben, sondern lediglich ein Gebot zur allgemeinen Hilfeleistung aus § 323c StGB. Zu stützen ist diese Ansicht insbesondere auf die fehlende Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens, sowie die weiteren Gedanken, die zur Verneinung einer Garantenpflicht im Falle der Notwehr geführt haben (s.o.).2
Eine Gegenmeinung führt jedoch an, dass bereits in der Nutzung eines Kraftfahrzeuges die Eröffnung einer Gefahrenquelle zu sehen ist. Die sich daraus ergebende Garantenpflicht hängt gerade nicht von der Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens ab, da es bei Verkehrssicherungspflichten generell nicht darauf ankommt, wie das Vorverhalten geartet ist.3 Die Verkehrspflichten beschreiben allgemein die Pflicht desjenigen, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft, bei einer Verkehrsöffnung diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich und ihm zumutbar sind, um eine Gefährdung anderer Personen zu vermeiden.4 Das bedeutet, dass – zumindest nach dieser Ansicht - eine Garantenstellung kraft Ingerenz auch bei verkehrsgerechtem und sozialadäquatem Verhalten zum Tragen kommt.