d) Vorsätzliches Dazwischentreten eines Dritten

Der Verantwortungsbereich eines Dritten kann dann eröffnet sein, wenn dieser in den vom Täter in Gang gesetzten Kausalverlauf eintritt. Der dazwischentretende Dritte beeinflusst somit den verursachten Erfolg. Unproblematisch gegeben ist jedenfalls der Kausalzusammenhang (Vgl. bereits oben II 2 a) anknüpfende Kausalität). Es findet also kein Regressverbot statt. Das heißt, dass ein vorsätzliches, erfolgsverursachendes Eingreifen eines Dritten in den in Gang gesetzten Kausalverlauf eine Haftung des „Ersttäters“ nicht ausschließt. Umstritten ist dann jedoch in welchem Umfang eine objektive Zurechnung des Täters abgelehnt werden kann bzw. muss und der Zurechnungszusammenhang des Täters unterbrochen ist. Dies hängt grundsätzlich davon ab, in welchen Verantwortungsbereich der eingetretene Erfolg fällt.1


aa) Der Grundsatz

Grundsätzlich endet der Verantwortungsbereich des Täters dort, wo ein Dritter vollverantwortlich eine neue selbständig auf den Erfolg hinwirkende Gefahr begründet, die sich im Erfolg auch realisiert. Der Zurechnungszusammenhang des Täters wird damit unterbrochen.2

Jenes Dazwischentreten muss dabei so sehr außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegen, dass mit ihm vernünftigerweise nicht gerechnet zu werden braucht (= atypischer Kausalverlauf). So kann man auch hier die Fälle der kumulativen Kausalität (siehe oben) einordnen und eine Zurechnung deshalb verneinen, weil die gleichzeitige, vorsätzliche Gabe eines kumulativ wirkenden Giftes durch einen Dritten derart außergewöhnlich ist, dass es sich um ein Werk des Zufalls handelt und mit ihm daher nicht gerechnet zu werden braucht. Eine etwaige Versuchsstrafbarkeit bleibt davon jedoch unberührt.3

bb) Die Ausnahmen

Jedoch sind Ausnahmen zu beachten, die eine Strafbarkeit durch Annahme des Zurechnungszusammenhangs des Erstverursachers nach sich ziehen.

i) Spezifische Verbundenheit
Insbesondere Fälle, in denen das Handeln des Dritten, also das Dazwischentreten, derart spezifisch mit der geschaffenen Ausgangsgefahr verbunden ist, dass eben dieses Verhalten als typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet liegt, ist eine objektive Zurechnung des Erstverursachers zu bejahen. Somit trägt der Erstverursacher entgegen des obigen Grundsatzes also auch dann die Verantwortung für den eingetretenen Erfolg, wenn dieser sich erst durch ein anknüpfendes Verhalten des Dritten realisiert hat, der Erfolgseintritt jedoch bereits in der Ausgangsgefahr angelegt war.4

Als vertiefendes Beispiel sei hier der „Gnadenschussfall“ anzuführen. Hier hatte der T mit Tötungsvorsatz auf das Opfer O geschossen, welches dann zu den anderen Toten gelegt wurde. Als D den noch röchelnden O erblickt, versetzt er ihm einen Gnadenschuss, um sein Leid zu beenden. Nicht nur dem dazwischentretenden D ist der Erfolg zurechenbar, sondern auch dem Erstverursacher T. Begründet wird dies mit der oben entwickelten Ausnahme des spezifischen Zusammenhangs, da sich der Anschlusstäter lediglich der Ausgangsgefahr unterordnet, indem er den Leidensweg des O verkürzt. Die geschaffene Ausgangsgefahr des T und das Verhalten des D waren also spezifisch verbunden. Der Erfolgseintritt war demnach in der Ausgangsgefahr angelegt und ist folglich auch dem Erstverursacher zurechenbar.5


ii) Verletzung von Sicherheitsvorschriften seitens des Erstverursachers
Eine weitere Ausnahme des obigen Grundsatzes, stellt der Fall dar, in dem die geschaffene Gefahr darin besteht, dass der Täter Sicherheitsvorschriften verletzt, die gerade dem Schutz vor Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstaten durch Dritte dienen sollen.6

Als Schutzvorschriften können beispielsweise Brandschutzvorschriften in Betracht kommen, die dem Schutz der Benutzer öffentlich zugänglicher Räumlichkeiten dienen. Diese Vorschriften stellen also den Schutz vor Brandgefahren sicher und dies darüber hinaus unabhängig davon, ob der Brand letztlich zufällig, vorsätzlich oder fahrlässig durch Dritte herbeigeführt wurde. Verletzt also jemand diese Schutzvorschriften (vorsätzlich oder auch fahrlässig), haftet er im Falle einer anschließenden vorsätzlichen Brandstiftung mit Todesfolge für den Erfolg als Fahrlässigkeitstäter.7

Ebenso wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB wird ein Vater bestraft, der die Vorschriften des Waffengesetzes derart verletzt, dass der Sohn die offen in der Wohnung liegende Schusswaffe für einen Amoklauf benutzt.8

Demgegenüber scheidet eine Bestrafung aus fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB hinsichtlich des Ersttäters dann aus, wenn dieser das Opfer zwar fahrlässig lebensgefährlich verletzt, das Opfer dann auch durch das Dazwischentreten eines Zweittäters stirbt, der Ersttäter durch sein Handeln jedoch kein Schutzgesetz fahrlässig verletzt hat. Der Erfolg kann ihm dann nicht zugerechnet werden und eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs finden statt. Insoweit kann der Ersttäter dann nur noch wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB bestraft werden.9

  • 1. Wessels/Beulke, AT, § 6, Rn. 192.; ähnlich Rengier, AT, § 13, Rn. 87ff.
  • 2. Heinrich, AT, Rn. 253.; Baier, JA 02, 842 (843).
  • 3. Wessels/Beulke, AT, § 6, Rn. 192, 196.; Rengier, AT, § 13, Rn. 94.
  • 4. Baier, JA 02, 842 (843).; Wessels/Beulke, AT, § 6, Rn. 192.; Otto, AT, § 6, Rn. 50.
  • 5. BGH MDR/D 56, 526.; Wessels/Beulke, AT, § 6, Rn. 164, 192.; Rengier, AT, § 13, Rn. 24, 89.
  • 6. Wessels/Beulke, AT, § 6, Rn. 192.; idS. auch Rengier, AT, § 13, Rn. 93.; Otto, FS Wolff, 395 (412ff.).; ähnlich und m.w.N. Schünemann, GA 99, 207 (224f.).; Heinrich, AT, Rn. 254.
  • 7. Otto, FS Wolff, 395 (412f.).
  • 8. BGH NJW-Spezial 12, 344 (Amoklauf von Winnenden); Wessels/Beulke, AT, § 6, Rn. 192.
  • 9. Rengier, AT, § 13, Rn. 92.