bb) Gerechtfertigtes Vorverhalten (Notwehr- und Notstandslagen)

Ein weiterer problematischer Fall bezieht sich auf das aus Notwehr- und Notstandslagen resultierende Vorverhalten, welches seinerseits wieder eine Gefahrenlage hervorruft - Der Fall der Notwehrprovokation.

Nach h.M. entsteht durch die Verletzung eines Angreifers in Notwehr gemäß § 32 StGB idR für den Angegriffenen keine Garantenpflicht für das Leben des Angreifers. Daraus folgt, dass grundsätzlich aus einem rechtmäßigen Vorverhalten keine Garantenpflicht entstehen kann.1 Begründet wird dies damit, dass es dem Sinn des Notwehrrechts zuwiderläuft, dem Angegriffenen die Last der Garantenpflicht hinsichtlich des Schutzes von Leib und Leben des Angreifers aufzuerlegen. Schließlich habe dieser sich rechtswidrig verhalten. Ferner würde man ansonsten den Angreifer stärker schützen als denjenigen, der ohne eigene Schuld verunglückt, da bei dieser lediglich Schutz aus § 323c StGB genießt. Des weiteren würde der eigentlich Angegriffene schärferer Haftung unterliegen als unbeteiligte Dritte, da der Angegriffene (im Falle unseres Beispiels) auf Grund der Garantenpflicht aus §§ 212, 13 StGB, der Passant jedoch „nur“ aus § 323c StGB haften würde. Des Weiteren wurde die verteidigende Handlung des Angegriffenen gerade durch das Verhalten des Angreifers hervorgerufen. Die Handlung basiert also nicht auf einer freiwilligen Entscheidung, wie beim Urheber einer Gefahrensituation. „Wer durch einen rechtswidrigen Angriff eine Selbstschädigung herbeigeführt, kann nicht erzwingen, dass der Angegriffene als Garant zu seinem Beschützer wird“2 Als Ausgleich bleibt jedoch ein Anspruch aus § 323c StGB, da ein dort geforderter Unglücksfall auch dann vorliegt, wenn das Opfer die Notlage selber hervorgerufen hat.3

Ein Gegenmeinung stellt jedoch darauf ab, dass es eben doch die verteidigende Handlung des Angegriffenen war, die zu der lebensbedrohlichen Gefahrenlage des Angreifers geführt hat.4 Da die Notwehrlage nach der erfolgten Verteidigung nicht länger besteht, sollte ab diesem Zeitpunkt das vorangegangene gefährliche Tun zu einer Garantenpflicht führen.5

Fraglich erscheint derweilen, ob eine Übertragbarkeit der oben genannten Grundsätze auch auf den Rechtfertigungsgrundes des Notstandes nach § 34 StGB möglich ist. Sprich; ob eine Garantenpflicht bei einem durch Notsand gerechtfertigten Vorverhalten ausbleibt. Weitgehend bestehen erhebliche Zweifel daran. Diese sind berechtigt. Denn der Täter hat, um sich vor einen rechtswidrigen Angriff zu bewahren, in den Rechtskreis unbeteiligter Dritter eingegriffen. Es erscheint also nur billig, dass der Eingreifende dem Dritten dann auch anschließende Hilfe gewährt.6

  • 1. BGHSt, 23, 327.; Sch/Sch/Stree/Bosch, StGB-Kommentar, § 13, Rn. 37.; Sowada, Jura 2003, 236 (240).
  • 2. BGHSt 23, 327 (328).
  • 3. BGHSt 6, 147 (152).
  • 4. Kühl, Strafrecht AT, § 18, Rn. 95.
  • 5. Herzberg, JuS 1972, 74 (75).
  • 6. Kühl, Strafrecht AT, § 18, Rn. 96.; Freund, 1992, S. 183ff.; Sowada, Jura 2003, 236 (240).