5. Die Garantenstellung im Überblick

Wie oben bereits ausgeführt, kann ein unechtes Unterlassungsdelikt nicht von jedermann, sondern nur von Personen begangen werden, die gemäß § 13 StGB rechtlich dafür einzustehen haben, dass der Erfolg nicht eintritt. Diese sich daraus ergebene Rechtspflicht zum Handeln, also den Erfolg abzuwenden, wird Garantenpflicht genannt.1

Es ist also zwischen Garantenstellung und Garantenpflicht zu differenzieren. Aus dem Wortlaut „rechtlich dafür einzustehen, dass der Erfolg nicht eintritt“, ergibt sich zunächst überhaupt die Garantenstellung, also die Position, für die Erfolgsabwendung einstehen zu müssen. Aus dieser Garantenstellung erwächst dann die Garantenpflicht, also die Pflicht „in Richtung auf die Abwendung des drohenden Erfolges“ auch tätig zu werden.2 Eine Pflicht zum handeln besteht also nur dann, wenn im die Qualität der Garantenstellung positiv nachgewiesen wurde.

Fraglich erscheint nun aber, ab wann die betreffende Person eine solche Garantenpflicht inne hat, also eine Garantenstellung besitzt. Das Gesetz hält sich an dieser Stelle bedeckt, indem es in § 13 StGB lediglich aussagt, dass überhaupt eine Garantenstellung bestehen muss, nicht jedoch wann und unter welchen konkreten Umständen eben eine daraus erwachsene Garantenpflicht begründet wird.3 Eben diese Umstände sind daher als ungeschriebene Tatbestandsmerkmale anerkannt. 4

Um die Frage, ab wann eine Garantenstellung und eine daraus resultierende Garantenpflicht entsteht, klären zu können, ist nach heutiger Lehre zwischen zwei verschiedenen Grundtypen zu unterscheiden: zum einen die Beschützer- oder Obhutsgaranten und zum anderen die sogenannten Überwachungsgaranten.5

Diese Unterteilung wird auch funktionelle Zweiteilung genannt.6 Dieser Begriff resultiert aus der nunmehr bestehenden Unterscheidung nach der Funktion der Garantenstellung. Nach der früher bestehenden formellen Rechtspflichtlehre wurde hingegen zwischen bestimmten Pflichten unterschieden, die sich aus Gesetz, Vertrag, freiwillige Übernahme, enge Lebensgemeinschaft und Gefahrschaffung ergaben.7

Der Überwachungsgarant hat dafür Sorge zu tragen , dass sich aus Gefahrenquellen, für die er gewisse Sicherungspflichten inne hat, keinerlei Schäden für andere ergeben. Demgegenüber muss der Beschützergarant das Gut, für welches er Obhutspflichten trägt, vor allen von außen kommenden Gefahren schützen.8

Grundlage der Garantenstellung / -pflicht kann grundsätzlich nur eine Rechtspflicht sein. Sittliche Pflichten allein genügen demgegenüber nicht. Die Einstandspflicht muss also rechtlich und nicht nur sittlich begründet sein.9

Ausnahmsweise kann jedoch auch eine enge Gemeinschaft als Grundlage der Garantenpflicht dienen.10 Dieses Vorkommnis ergibt sich hauptsächlich daraus, dass die Grundlage der Garantenpflicht früher nach der formellen Rechtspflichtlehre (s.o.) abgeleitet wurde. Heute hingegen, kann auch eine sittliche Pflicht zur Rechtspflicht für Menschen werden, die in enger Lebensgemeinschaft verbunden sind, also auch ohne gesetzliche oder vertragliche Bindung. Exemplarisch sei die Verpflichtung des Einstehens des Sohnes gegenüber seines Vaters zu nennen, die aus dem Gesetz nicht abgeleitet werden kann. 11

  • 1. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Wohlers, StGB-Kommentar, § 13, Rn.29.
  • 2. BT-Drucks. IV/650, 124.; Roxin, Strafrecht AT II, § 32, Rn. 1.; BGHSt 16, 155 (158).
  • 3. Kindhäuser, Strafrecht AT, § 36, Rn. 49.
  • 4. BGHSt 16, 155 (158).
  • 5. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, § 16, Rn. 716.; Kindhäuser, Strafrecht AT. §36, Rn. 56.
  • 6. Lackner/Kühl, StGB-Kommentar, § 13, Rn. 12.
  • 7. Kühl, Strafrecht AT, § 590, § 18, Rn. 44, Kindhäuser, Strafrecht AT, § 36, Rn. 50ff.
  • 8. Rengier, Strafrecht AT, § 50, Rn. 4ff.; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 36, Rn. 56.; Kühl, JuS 2007, 497 (500).
  • 9. BGHSt 7, 268 (271).; Rengier, Strafrecht AT, § 50, Rn. 10.
  • 10. BGHSt 19, 167 (168).
  • 11. BGHSt 19, 167 (168).