1. Die Wahrscheinlickeitstheorie

Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie wird der Eventualvorsatz schon dann bejaht, wenn der Erfolgseintritt vom Täter als wahrscheinlich gehalten wird. Demnach liegt die Annahme des Eventualvorsatzes umso näher desto größer der Wahrscheinlichkeitsgrad hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung ist.1
Einem Ansatz zufolge, ist der Erfolgseintritt aus Sicht des Täters dann „wahrscheinlich“ im Sinne dieser Theorie, wenn die Tatbestandserfüllung mehr als möglich jedoch weniger als überwiegend wahrscheinlich ist.2

Ein weiterer Ansatz stellt darauf ab, dass der Vorsatz mit der zur Vermeidung des Erfolgseintritts erforderlichen Faktenkenntnis gleichzustellen ist. Das bedeutet, dass der Vorsatz das Wissen ist, dass den Täter zur Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung gebieten soll. Die Bildung dieses Vermeidensintention ist vom Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts abhängig. Ausgehend von einem rationalen Normadressaten, ist der Erfolgseintritt also dann wahrscheinlich, wenn für ihn Anlass zur Bildung einer solchen Vermeidungsintention besteht.3

Eben diese Definitionen geben den überwiegenden Stimmen in der Literatur Grund zu Bedenken, da sie sich als besonders unpraktikabel, unsicher und schwer handhabbar darstellen.4 Es wird daher insbesondere angeführt, dass zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit kaum eine konkrete Grenze zu ziehen sei5 und sich der praktische Nachweis, wann etwas wahrscheinlich ist, darüber hinaus schwierig gestaltet. Ferner werde diese Ansicht dem Wollenselement, das Bestandteil des Vorsatzes ist, nicht gerecht, da vollständig auf ein solches verzichtet wird.6

Das Ergebnis, welches im Zweifel über Strafbarkeit oder Straflosigkeit entscheidet, wäre nach dieser Ansicht also höchst unpräzise und wird daher heute kaum noch vertreten.7

  • 1. ähnlich Kindhäuser, FS Eser, 345 (354).; Mayer, AT, § 27, IV 2.
  • 2. Mayer, AT, § 27, IV 2.
  • 3. Kindhäuser, FS Eser, 345 (354).; Kindhäuser, GA 94,197 (203f.).
  • 4. So Rengier, AT, § 14, Rn. 19.; Geppert, Jura 1986, 611.; Sch/Sch/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 76.
  • 5. Sch/Sch/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 76.
  • 6. Geppert, Jura 86, 610 (611).
  • 7. Geppert, Jura 86, 610 (611).