1. Die Gleichgültigkeitstheorie
Die Vertreter der Gleichgültigkeitstheorie kombinieren in diesem Sinne die Möglichkeitstheorie (rein kognitiv) mit einer dem Wollenselement entsprechenden voluntativen Komponente - namentlich der Gleichgültigkeit. Demnach handelt der Täter nur dann mit Eventualvorsatz, wenn er die für möglich gehaltene Tatbestandsverwirklichung aus Gleichgültigkeit gegenüber dem Rechtsgut in Kauf nimmt.1 Eben diese Gleichgültigkeit lässt sich dann nur dadurch feststellen, dass der Täter den möglichen Schadeneintritt erkannt und seinerseits „instrumentalisiert“ hat.2
Im Ergebnis entspricht die Gleichgültigkeitstheorie der Einwilligungs- bzw. Billigungstheorie, nach der der Täter den möglichen Erfolgseintritt „billigend in Kauf nimmt“3, denn die Gleichgültigkeit hinsichtlich des Erfolgseintritt bezeichnet letztlich nur, dass sich der Täter mit dem Erfolg abgefunden hat und ihn folglich in Kauf nimmt.4 Insoweit ist die Gleichgültigkeitstheorie dahingehend weiter zu verstehen, dass auch Fälle erfasst werden, in denen der Täter die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält und dennoch zur Tat schreitet und damit deutlich wird, dass er innerlich mit dem Erfolgseintritt einverstanden ist.5
Die ursprüngliche Form der Gleichgültigkeitstheorie geht auf ihren Begründer Engisch zurück. Der wesentliche Unterschied zu der heutigen modifizierten bzw. konkretisierten Gleichgültigkeitstheorie liegt darin, das nach Engischs Auffassung der Eventualvorsatz dann zu bejahen sei, wenn der Täter die möglichen Nebenfolgen gutheißt oder gleichgültig hinnimmt, nicht jedoch, wenn dem Täter der Erfolgseintritt unerwünscht ist und daraufhin hofft, der Erfolgseintritt bliebe aus.6
Es wird jedoch kritisiert, man könne sich nicht durch bloßes Hoffen von den bewusst einkalkulierten Konsequenzen seines eigenen Handeln entledigen. Abermals ist maßgebend, wofür man sich im Zweifel tatsächlich entscheidet und nicht mit welchen Hoffnungen man dies tut.7 Dass der Täter den Erfolgseintritt als unerwünscht empfindet, muss also nach der modernen Ansicht der Gleichgültigkeitstheorie daher grundsätzlich unbeachtlich bleiben.
Doch auch die moderne Gleichgültigkeitstheorie erfährt in der Literatur verschieden geartete Kritik.8 Angeführt wird zum einen, dass die Lehre über die Gleichgültigkeit lediglich auf Emotionen basiere, anstatt auf eine vom Willen geleitet Stellungnahme.9 Eine andere Kritik geht noch weiter und konstatiert insoweit, dass überhaupt nicht auf die innere Einstellung des Täters abgestellt werden kann.10
Man erklärt sich insoweit damit, dass es bei der Abgrenzung zwischen dem Eventualvorsatz und der bewussten Fahrlässigkeit alleine auf „das Wesen“ des Vorsatzes ankäme, welches allein in der Entscheidung für die das Unrecht begründende Handlung zu sehen sei. Gemeint ist also die Handlung, die letztlich zum Erfolg führt und die Entscheidung des Täters eben dafür. Diese Entscheidung wiederum schließe die Beachtung der voluntativen Seite, also die innere Einstellung des Täters, gänzlich aus. Der Verzicht auf voluntative Elemente beziehe sich dann folgerichtig auf alle Theorien die ein solches Element erfordern.11
- 1. Anm. Schroth, JR 03, 248 (252).; Sch/Sch/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 82 iVm. 84.; Roxin, AT I, § 12, Rn. 40.
- 2. Anm. Schroth, JR 03, 248 (253).
- 3. BGHSt 36, 1 (9).
- 4. Anm. Schroth, JR 03, 248 (252).
- 5. Sch/Sch/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 82.
- 6. Engisch NJW 1955, 1689; Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, 1930, S. 186ff.
- 7. Roxin, AT I, § 12, Rn. 40.; Sch/Sch/Sternberg-Lieben, § 15, Rn. 82.
- 8. Rudolphi, 2. Aufl. § 16, Rn. 39.; Kaufmann, ZstW 70, 64 (67f.); Rengier, AT, § 14, Rn. 25.
- 9. Rengier, AT, § 14, Rn. 25.
- 10. so zu allen volitiven Theorien Rudplohi, 2. Aufl. § 16, Rn. 39.; ähnlich auch Kaufmann, ZStW 70, 64 (69).
- 11. Rudplohi, 2. Aufl. § 16, Rn. 39.