1. Abgrenzungskriterien zum Tun und Unterlassen

Objektiv betrachtet scheint die Abgrenzung von Tun und Unterlassen von keinerlei Schwierigkeit zu sein. Die Abgrenzungskriterien erscheinen geradezu naheliegend.

Wer durch den Einsatz körperlicher Energie und auf Grund eines Willensentschlusses die Außenwelt verändert, in diese eingreift oder ein Kausalgeschehen in Gang setzt, handelt aktiv, er tut also etwas (=Tun). Wer hingegen dem Geschehen seinen Lauf lässt, obwohl er in den Verlauf eingreifen könnte, verhält sich passiv (= Unterlassen).1

Erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten können sich jedoch ergeben, wenn aktive und passive Verhaltensweisen zusammen fallen. Diese problematische Fallgruppe ist gemeinhin auch unter dem Begriff „ambivalente“ oder auch „zweiseitige“ Verhaltensweisen bekannt. Teilweise fallen Tun und Unterlassen sogar zeitlich zusammen („Koinzidenz der Verhaltensformen“).2 Auf Grund dieser Problematik ist es erforderlich die obige Unterscheidung zu modifizieren. Zur Abgrenzung von Tun und Unterlassen haben sich vor allem zwei Meinungen herausgebildet:

  • 1. Rengier, Strafrecht AT, § 48, Rn. 9.; Kühl, Strafrecht AT, § 18, Rn. 13.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, § 16, Rn. 700.
  • 2. Sieber JZ 1983, 431.