§ 105a BGB - Geschäfte des täglichen Lebens

A. Allgemeines
Der im Jahr 2002 eingefügte § 105a BGB1 soll, angelehnt an das amerikanische Recht, volljährigen Geschäftsunfähigen (§ 104 Nr. 2 BGB) die Möglichkeit eröffnen, Geschäfte des (all-)täglichen Lebens, die mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden können, vorzunehmen. Ziel des Gesetzgebers war es, mit der Einführung des § 105a BGB eine differenziertere Behandlung geistig behinderter Menschen im Hinblick auf ihre Geschäftsfähigkeit zu ermöglichen und ihre rechtliche Stellung zu verbessern.2

Dabei stellt § 105a S. 1 BGB eine Fiktion dahingehend auf, dass - verkürzt - ein Vertrag, der mit einem volljährigen Geschäftsunfähigen geschlossen wurde und der mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden kann, wirksam ist, sobald Leistung und Gegenleistung bewirkt wurden.3 Wie weit diese Fiktion im Hinblick auf die Rechtsfolgen reicht, ist bisher jedoch nicht abschließend geklärt (siehe dazu unter »C. Rechtsfolgen«).


B. Tatbestand
I. Volljährige Geschäftsunfähige - Persönlicher Anwendungsbereich
§ 105a BGB erfasst lediglich Geschäfte, die von volljährigen Geschäftsunfähigen getätigt werden. Hierbei handelt es sich um Personen, die nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig und zusätzlich volljährig sind, die also das 18. Lebensjahr vollendet haben. § 105a S. 1 BGB gelangt auch dann zur Anwendung, wenn zwei volljährige Geschäftsunfähige Geschäfte untereinander tätigen, nicht aber wenn ein volljähriger Geschäftsunfähiger und ein nicht volljähriger Geschäftsunfähiger oder ein beschränkt Geschäftsfähiger Geschäfte miteinander tätigen.4

II. Geschäft des täglichen Lebens
Der volljährige Geschäftsunfähige muss ein Geschäft des täglichen Lebens abschließen. Nach der Gesetzesbegründung soll es hierbei nicht darauf ankommen, dass ein solches Geschäft potentiell täglich abgeschlossen werden kann, sondern darauf, ob es sich nach der Verkehrsanschauung um ein alltägliches Geschäft handelt. Dies sei bspw. beim Erwerb von Gegenständen des täglichen Bedarfs (Lebensmittel, kosmetische Artikel, Presseerzeugnisse) und bei Inanspruchnahme von einfachen Dienstleistungen wie einem Friseurbesuch oder der Versendung von Briefen der Fall.5 Von § 105a BGB nicht erfasst werden hingegen Haustür- und Fernabsatzgeschäfte (§§ 312, 312b BGB), da sie den volljährigen Geschäftsunfähigen in der Regel im Hinblick auf die Vertriebsmodalitäten überfordern.6

III. Geringwertige Mittel
Das Geschäft muss mit geringwertigen Mittel, idR bar, bewirkt werden können. Der Gesetzgeber stellt in seiner Begründung hierbei auf objektive Kriterien ab und zieht das durchschnittliche Preis- und Einkommensniveau für die Begriffsbestimmung der Geringwertigkeit der Mittel heran. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschäftsunfähigen, also subjektive Kriterien, dürften nicht beachtet werden, da dies die Sicherheit des Rechtsverkehrs gefährde.7
Jauernig sieht hierbei das Problem, dass es bundesweit für diesen Personenkreis und für die angesprochenen Geschäfte kein derartiges Niveau gibt und auch nicht geben kann.8Daher wird im Schrifttum ein objektiv-subjektiv geprägter Geringwertigkeitsbegriff befüwortet, der bspw. auch die persönlichen Einkommensverhältnisse des Geschäftsunfähigen berücksichtigt oder die zu § 110 BGB entwickelten Grundsätze heranzieht.9

Meines Erachtens ist die Bestimmung der Geringwertigkeit im Lichte des alltäglichen Geschäftes durchzuführen. Über den Begriff der Alltäglichkeit des Geschäfts lässt sich gleichzeitig auf die Geringwertigkeit schließen und umgekehrt. Ein Besuch bei einem durchschnittlichen lokalen Friseuer dürfte mE - ohne Bezifferung - mit geringwertigen Mitteln zu bewirken sein. Der Besuch bei einem überregional bekannten "Star-Friseur" hingegen dürfte nicht mit geringwertigen Mitteln zu bewerkstelligen sein, gleichsam handelt es sich hierbei mE nicht mehr um ein alltägliches Geschäft. Versteht man unter einem alltäglichen Geschäft nämlich das, was eine Person zur Grundsicherung ihrer Existenz und eines menschenwürdigen Daseins Tag ein Tag aus benötigt, so scheiden objektiv unnötige Geschäfte, die über diesen bloßen Zweck hinausgehen aus. Auch aus dem Telos der Vorschrift, die die bessere soziale Integration von geistig behinderten Menschen bezweckt10, ergibt sich nichts anderes. Denn die soziale Integration von geistig behinderten Menschen dürfte nicht davon abhängen in welcher monetären Höhe sie am Rechtsverkehr teilnehmen können, sondern davon, dass sie ihr alltägliches Leben zumindest in rechtsgeschäftlicher Hinsicht teilweise selbst bewerkstelligen können. Dem kann aber nur gerecht werden, wenn man nicht auf relativ starre Einkommens- und Preisverhältnisse im Sinne eines Maximalpreises bspw. für einen Friseurbesuch abstellt. Dies gilt umso mehr, als dass für die Ermittlung Wertigkeit der gesamte Vertragsschluss maßgeblich ist und nicht die einzelnen (Wert-)Komponenten11

Der Schutz der Geschäftsunfähigen vor den Gefahren des Rechtsverkehrs, als allgemeiner Telos der §§ 104 ff. BGB12, steht zum gesetzgeberischen Willen nach einem Mehr an sozialer Integration geistig behinderter Menschen in einem Spannungsverhältnis und führt mE dazu, dass der Begriff der Geringwertigkeit dort abgelehnt werden muss, wo die Höhe der (monetären) Leistung des Geschäftsunfähigen im Vergleich zur erhaltenen Gegenleistung derart unverhältnismäßig stark ins Gewicht fällt, dass davon auszugehen ist, dass nach der Verkehrsanschauung das Geschäft nicht als ein Geschäft angesehen werden würde, das mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden kann. Vereinfacht gesagt - die Alltäglichkeit des Geschäftes indiziert mE auch die Geringwertigkeit der aufgewandten Mittel. Ist das Geschäft alltäglich, so entfällt die Geringwertigkeit nach der hier vertretenen Auffassung, wenn Leistung und Gegenleistung wertmäßig derart auseinander klaffen, dass nach der Verkehrsanschauung - und nicht nach einem ggf. nicht zu ermittelndem Einkommens- und Preisniveau - nicht mehr von einer Geringwertigkeit der für die Leistung aufgewandten Mittel zu sprechen ist.13


IV. Bewirkung von Leistung und Gegenleistung
Leistung und Gegenleistung müssen vollständig bewirkt, also erfüllt worden sein. Nur dann tritt die Wirksamkeitsfiktion des § 105 S. 1 BGB ein.14
  • 1. BGBl I 2002, 2856.
  • 2. BT-Drs. 14/9266 S. 43
  • 3. Casper NJW 2002, 3425; Palandt/Ellenberger § 105a Rn. 6.
  • 4. Bamberger/Roth/Wendtland § 105a Rn. 2; Casper NJW 2002, 3425, 3426.
  • 5. BT-Drs. 14/9266 S. 43; vgl. auch Jürgens/Jürgens § 105a Rn. 2.
  • 6. Palandt/Ellenberger § 105a Rn. 3.
  • 7. BT-Drs. 14/9266 S. 43
  • 8. Jauernig/Jauernig § 105a Rn. 5
  • 9. vgl. zusammenfassend Staudinger/Knothe § 105a Rn. 7.
  • 10. Palandt/Ellenberger § 105a Rn. 1
  • 11. BT-Drs. 14/9266 S. 43; MüKo-BGB/Schmitt § 105a Rn. 7
  • 12. Rüthers/Stadler § 23 Rn. 1f.; Bamberger/Roth/Wendtland § 104 Rn. 1f.; MüKo-BGB/Schmitt § 104 Rn. 2; Heim JuS 2003, 141, 142.
  • 13. So wohl auch Erman/Palm § 105a Rn. 6f.
  • 14. Bamberger/Roth § 105a Rn. 5.