„Verfassung verstehen – Das Grundgesetz in Infografiken“, so heißt die Diplomarbeit des Designers Mike Hofmaier, in der das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in nie dargewesener Weise präsentiert und „in völlig neuer Form“ (Sabine Leutheuser-Schnarrenberger) vermittelt wird. Hofmeier hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein „visuelles Begleitbuch“ zu entwerfen, das das Grundgesetz grafisch zu übersetzen und analysieren versucht - ohne dabei allzu sehr in juristischen Details zu versinken. Ziel ist es, dem Leser eine neue, visuelle Art des Zugangs zum Grundgesetz zu vermitteln, was nicht bedeutet, dass es für den Fachkundigen nichts zu entdecken gibt - im Gegenteil.
Im ersten Teil von „Verfassung verstehen“ versucht Hofmeier, seinen Leser langsam an das Grundgesetz und seinen systematischen Aufbau heranzuführen. Hierzu analysiert er – getreu seiner Zielvorgabe „Infografiken“ - vor allem den Umfang unserer Verfassung, der einzelnen Kataloge, Abschnitte und Artikel, setzt diesen in einen Kontext zu anderen Verfassungen und Werktypen und gibt einen Überblick über die Systematik des Grundgesetzes sowie über den Aufbau eines einzelnen Artikels. Gerade der Überblick über die verschiedenen Abschnitte des Grundgesetzes, die sich in der Darstellung systematisch in übergeordnete Abschnitte eingliedern, bietet einen hervorragenden Überblick über die grundlegende Struktur unserer Verfassung.
Im zweiten Kapitel widmet sich Hofmeier der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Hierzu gibt er zunächst einen erläuternden zeitgeschichtlichen Überblick über die Entstehung des Grundgesetzes im Allgemeinen, angefangen mit der Sechs-Mächte-Konferenz in London (Mai 1948), auf der die westdeutschen Ministerpräsidenten mit der Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung beauftragt wurden, bis hin zur Tag der Verkündung des „fertigen“ Grundgesetzes am 23. Mai 1949. Gespickt mit Originalzitaten sowie kleineren und netten Anekdoten (bspw. über die Resonanz auf den Begriff „Grundgesetz“), bietet dieser historische Überblick eine sehr gelungene und kurze Zusammenfassung der Geschehnisse, deren Kenntnis obligatorisch für den Juristen sein sollte.
„Der Gesetzgeber muß Gleiches gleich,
Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln“
(Art. 1b GG der Stellungnahme des
Allgemeinen Redaktionsausschuss, 16.11. 1948)
Im Anschluss hieran präsentiert Hofmaier den Entwurfsprozess der Artikel Eins und Zwei des Grundgesetzes. Und hier wird es – gerade auch für den Juristen – äußerst interessant. Hofmaier stellt nämlich, angefangen beim Chiemseer Entwurf und endend mit der dritten Lesung des Grundgesetz – Entwurfs, in Synopsen-Form die verschiedenen Stadien der textlichen Entwicklung nebeneinander und fügt zusätzlich die entsprechenden Kommentare und Änderungswünsche der Fach- und Redaktionsausschüsse bei – ein für die historische und teleologische Auslegung der beiden Artikel absolut wertvolles Unterfangen, das in seiner Übersichtlichkeit so wohl bisher einzigartig ist.
Im dritten Kapitel geht Hofmaier auf die Änderungen ein, die das Grundgesetz seit seiner Verkündung erfahren hat. Hierzu stellt er zunächst in einer Übersicht alle angefallenen Änderungen in eindrucksvoller Weise dar und widmet sich dann Themen wie der Wesensgehaltsgarantie oder der Ewigkeitsklasuel. Im Anschluss hieran stellt Hofmaier in einem Zeitstrahl die wichtigsten Änderungen des Grundgesetzes dar und gibt erläuternde Informationen zu den jeweiligen Neuerungen – bspw. zur Wehrverfassung von 1956, zum Änderungsgesetz zur Wiedervereinigung von 1990, zum großen Lauschangriff von 1998 oder zu der Föderalismusreform von 2006.
Bereits als Überleitung zum nächsten Kapitel „Grundrechte“ stellt Hofmaier sodann die Änderungen der Grundrechte dar – von 1949 bis 2013. Hierbei stechen vor allem die Änderungen zum Asylrecht und die Änderungen rund um den Großen Lauschangriff hervor, die gerade im Hinblick auf die momentanen Diskussionen äußerst lesenswert sind.
Das letzte Kapitel von „Verfassung verstehen“ widmet sich ausschließlich den Grundrechten. Hofmeier geht es hierbei weniger um eine Erläuterung der einzelnen Artikel als vielmehr darum, aufzuzeigen, was die einzelnen Grundrechte für den Bürger und Staat bedeuten, wie sie in diesem Zusammenspiel wirken, wie man sich gegen etwaige Eingriffe zur Wehr setzen kann und wie die Grundrechte in der Gesamtsystematik des Grundgesetzes mit anderen Artikeln verknüpft sind.
„Verfassung verstehen – Das Grundgesetz in Infografiken“ ist dabei ein absolut gelungener Versuch, eine neue Form des Zugangs zu dieser durchaus komplexen Materie zu entwickeln, die auch – und vielleicht auch gerade – für den Jurastudenten interessant ist. Denn es geht Hofmaier weniger darum, Auslegungsarbeit zu leisten oder ein Lehrbuch zu unserer Verfassung zu entwickeln – das ist auch nicht sein Fachgebiet. Vielmehr ist es ihm ein Anliegen, den Leser für das Grundgesetz zu sensibilisieren, vielleicht auch zu begeistern. Dabei bleibt – für den „Leser vom Fach“ – aber keineswegs der Erkenntnisgehalt auf der Strecke, es gibt allerlei zu entdecken. Die wohl wichtigste Erkenntnis ist dabei aber weniger eine fachliche. Denn Hofmaier zeigt eindrucksvoll, dass ein Zugang zu einem Gesetzestext, aber auch eine Vertiefung, durchaus auch auf anderen Wegen möglich ist – es muss nicht immer Fließtext sein. Dabei ist seine grafische Umsetzung weder unfassbar ausgefallen noch extravagant. Sie ist auf das wesentliche reduziert, in der Lage, die intendierten Informationen zu vermitteln und gleichsam von großartiger Ästhetik.
Als Jurastudent stellt man sich zwangsläufig die Frage, warum sich dieses Prinzip bisher in keinem Lehrbuch wiederfindet, stellt es doch eine wunderbare Alternative zu den mitunter recht trockenen, einführenden Ausführungen dar, die auch oftmals – ob nun aus mangelndem Interesse der Studierenden oder aus Zeitnot – beim Lesen übersprungen werden. Dabei sind es gerade diese Erläuterungen zur Historie, Teleologie und Systematik, die den Zugang zum Gesetzestext erleichtern – wenn nicht sogar die Basis bilden für ein wirkliches Verständnis. Hofmaiers Werk kann hier als Musterbeispiel einer alternativen Darstellungsform betrachtet werden, die man sich für so manches Lehrbuch wünschen würde, gäbe sie dort doch Gelegenheit, mit Freude auf Erkundungstour zu gehen und sich so einen fundierten Zugang zu erarbeiten.
"Verfassung verstehen - Das Grundgesetz in Infografiken" von Mike Hofmaier ist im Herman Schmidt Verlag (Mainz) im Jahr 2013 erschienen und ist für 39,80 € im Buchhandel erhältlich - beispielsweise hier: Verfassung verstehen: Das Grundgesetz in Infografiken Eine visuelle Analyse der deutschen Verfassung