Das erste Semester im Jurastudium

Im ersten Semester des Jurastudiums geht es um das Fundament! Könnt ihr euch vorstellen ein Haus ohne ein solches zu errichten, ein Haus bei dem zu allererst das Dach konstruiert und bis ins letzte Detail geplant wird? Oder würde es für euch einen Sinn ergeben den Anhängerführerschein zu machen, ohne den Führerschein für einen PKW zu besitzen? – All das wäre nur sehr wenig sinnvoll und ist kaum nachvollziehbar. Ihr müsst zuallererst ein solides Fundament errichten, um darauf dann aufbauen zu können. Alles andere würde euch das Vorhaben unnötig schwer machen.

Im ersten Semester werdet ihr die Allgemeinen Teile des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Strafgesetzbuches sowie in aller Regel das Staatsorganisationsrecht erklärt bekommen. Bevor ihr im weiteren Verlauf eures Studiums tiefer in die jeweiligen Materien der Vorlesungen einsteigt, müsst ihr die Grundlagen erlernen, das heißt:

  • Bevor ich erklärt bekomme, wie ich etwas im Alltag käuflich erwerben kann oder wie ich Eigentümer eines Grundstücks werde, müssen die essentiellen Grundlagen geklärt sein, nämlich wie Verträge geschlossen werden, aus welchen Bestandteilen diese bestehen, wer überhaupt Verträge wirksam schließen kann und wie ich die Verträge wieder aus der Welt bekomme.
  • Bevor ich erlernen kann unter welchen Voraussetzungen ein Mord strafbar ist oder ob es ausreicht die Luft aus einem Autoreifen herauszulassen, um mich der Sachbeschädigung strafbar zu machen, muss ich lernen, was überhaupt eine „Straftat“ ist, was alles strafbar ist im Sinne des Gesetzes, wer Täter im deutschen Recht sein kann.
  • Zu Guter Letzt muss ich zuerst kennen lernen, wie die Bundesrepublik Deutschland von seiner Staatsstruktur aufgebaut ist, wie die wichtigsten Organe wieder Bundestag oder das Bundeskanzleramt funktionieren, bevor ich in den weiteren Semestern erlerne, wie sich zum Beispiel die Bundesrepublik in das europäische Machtgefüge einfügt.

Vorlesung: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches („BGB-AT“)
In der Vorlesung zum Allgemeinen Teil des BGB werden die Grundlagen für die gesamte zivilrechtliche Ausbildung gelehrt. Die Vorlesung beginnt häufig in den ersten Wochen mit einer kurzen Darstellung der Entwicklung und Herkunft des bürgerlichen Rechts und der daraus resultierenden Kodifizierung der wichtigsten Normen im BGB um 1900. Du wirst auch sehen, dass das BGB sich aus insgesamt fünf Büchern zusammensetzt: Dem Allgemeinen Teil, dem Schuldrecht, das Sachenrecht, das Familienrecht und das Erbrecht. Du wirst dich in dieser Vorlesung vornehmlich im Allgemeinen Teil bewegen.

Für die weitere Verdeutlichung der Inhalte der Vorlesung betrachten wir uns folgendes Beispiel: Du möchtest beim Bäcker noch schnell ein Brötchen kaufen, damit du nicht mit leerem Magen in die Vorlesung gehst. Du nennst der Bäckerin das von dir gewünschte Brötchen.

Was dir bisher im Alltag wahrscheinlich selbstverständlich war, wird dir in den ersten Vorlesungswochen noch einmal deutlicher vor Augen geführt: Du musst dich irgendwie im Rechtsverkehr artikulieren, sei es schriftlich oder mündlich, um eine Rechtsfolge auszulösen. Das Mittel mit dem diese Rechtsfolge herbeigeführt wird, ist die Willenserklärung. In unserem Beispiel bestand diese Willenserklärung darin, dass du ein bestimmtes Brötchen von der Bäckerin kaufen wolltest.

Erweitern wir das Beispiel etwas: Nachdem du das von dir gewünschte Brötchen genannt hast, packt die Bäckerin dieses ein.

Durch diese Handlung hat die Bäckerin nun auch eine Willenserklärung abgegeben. Aber dies hat sie weder schriftlich noch mündlich getan. Welche Art von Artikulierung soll es denn noch geben? Du wirst dabei noch eine weitere Art kennenlernen eine Willenserklärung abzugeben: Eine Willenserklärung gelangt auch dadurch in die Welt, dass die Person dir gegenüber einfach die entsprechende Handlung vornimmt (sog. konkludente Handlung). Hier wäre es für die Bäckerin viel zu umständlich die Willenserklärung von dir (und evtl. tausend weiteren Kunden) jedes Mal zu bestätigen mit den Worten: „Ja, dieses Brötchen kannst du gerne haben.“ oder so etwas ähnliches. Sie zeigt ihr Einverständnis mit dem Wunsch dir ein Brötchen auszuhändigen durch ihre Handlung das Brötchen einzupacken.

Wir haben nun also zwei Willenserklärungen: Du hast mit deiner Aussage, dass du dieses Brötchen haben möchtest die frühere Willenserklärung abgegeben. Diese Willenserklärung wird Angebot genannt. Die Willenserklärung der Bäckerin war die spätere der beiden Willenserklärungen und wird Annahme genannt. Da ihr beide nun eine Willenserklärung abgegeben habt und diese Willenserklärungen auch auf den gleichen Inhalt gerichtet sind (du willst ein Brötchen um den Appetit zu stillen und die Bäckerin will durch den Verkauf des Brötchens etwas verdienen), liegt ein Vertrag zwischen euch vor.

Dieser Vertrag bringt aber sowohl für dich als auch für die Verkäuferin gewisse Pflichten mit sich: Du hast die Pflicht den Preis für das Brötchen zu bezahlen und die Verkäuferin hat die Pflicht dir das von dir ausgewählte Brötchen auszuhändigen.

Gehen wir im Beispielsfall also einen Schritt weiter: Du händigst der Verkäuferin das Geld für das Brötchen aus und die Verkäuferin gibt dir die Tüte mit dem entsprechenden Brötchen.

Du siehst, dass es also noch eine tatsächliche Handlung braucht, damit du das Brötchen endlich verzehren kannst. Es reicht also nicht, wenn du der Verkäuferin – wie oben gesehen – sagst, dass du ein Brötchen haben möchtest, sie muss es dir auch noch geben. Dies wird sie aber nur tun, wenn du auch deine notwendige Handlung dazu vornimmst, ihr also das Geld aushändigst. Erst dann hat sie ihr Geld für das Brötchen und du bist endlich im Besitz des Brötchens und kannst deinen Appetit stillen.

Anhand des Beispiels sieht man sehr deutlich, dass es sowohl einen Vertrag zwischen den Parteien als auch eine tatsächliche Handlung zwischen den Parteien braucht, um die letztendlich gewünschte Folge herbeizuführen.

Diese Regelungen über Willenserklärungen, Verträge und weitere wichtige Regelungsinstrumente hat der Gesetzgeber im Allgemeinen Teil des BGB geregelt. Dabei verfolgt er das sogenannte „Klammerprinzip“:  Der Allgemeine Teil enthält alle Regelungen, die für die gesamten nun folgenden vier Bücher des BGB gelten. Das Recht der Anfechtung aus dem Allgemeinen Teil gilt also auch im Sachenrecht oder im Schuldrecht (dort werden die allgemeinen Regelungen nur durch „passendere“ und speziellere Regelungen ergänzt). Damit wollte es sich der Gesetzgeber ersparen die Regelungen ständig nochmal wiederholen zu müssen.

Modifizieren wir das Ausgangsbeispiel von oben etwas: Du kommst in die Bäckerei und zeigst nur auf ein bestimmtes Brötchen, nennst aber keinen Namen für das Brötchen.

Ein weiterer wesentlicher Punkt in eurer gesamten rechtswissenschaftlichen Ausbildung und Praxis wird die Auslegung von Willenserklärungen ausmachen. Die Bäckerin weiß noch nicht genau, was du für ein Brötchen möchtest, weil du es nicht genau bezeichnet hast. Jedoch hast du auf das Brötchen gezeigt. Es ist also mit den Auslegungsregeln des BGB zu fragen, wie die Bäckerin dein Verhalten verstehen durfte: Sie wird es regelmäßig so verstehen, dass du genau dieses Brötchen haben möchtest und auch bereit bist den Kaufpreis dieses Brötchens zu bezahlen.

Wandeln wir den Fall nochmals etwas ab: Du betrittst noch völlig müde von der Kneipentour der Erstsemesterwoche die Bäckerin und nennst dieser den Wunsch, dass du ein „Mehrkornbrötchen“ haben möchtest. Die Bäckerin kennt dich mittlerweile und fragt nochmals nach, ob du wirklich ein Mehrkornbrötchen meintest. Dir wird dabei bewusst, dass du dich versprochen hast und ein „Sonnenblumenkernbrötchen“ haben wolltest. Dieses packst die Verkäuferin nun ein.

Du wirst im weiteren Verlauf der BGB-AT Vorlesung kennenlernen, dass der einzelne die Möglichkeit hat seine Willenserklärung wieder aus der Welt zu schaffen. Dafür hält das BGB in seinem Allgemeinen Teil die sog. Anfechtung bereit. Im Fall oben hattest du dich versprochen, du wolltest eine solche Willenserklärung mit dem Inhalt „Mehrkornbrötchen“ gar nicht abgeben. Du wirst dabei sehr schnell erkennen, dass das BGB den Schutz des Erklärungsempfängers (im Beispiel also die Bäckerin) in den Vordergrund stellt und du daher nur unter relativ engen Voraussetzungen anfechten kannst, also die Willenserklärung wieder vernichten kannst. Es gilt der Grundsatz: „Pacta sind savanda“ – Verträge sind zu erfüllen.

Ebenso wird in der Vorlesung behandelt, wer überhaupt Verträge abschließen kann, ab wann man also Geschäftsfähig ist und wer von der Rechtsordnung geschützt werden muss, nämlich insbesondere Minderjährige. Das BGB enthält umfassende Regelungen zum Schutz der Minderjährigen und im BGB AT wird geregelt, wie diese Personen am Geschäftsverkehr teilnehmen können und warum der Minderjährige über ein Losgewinn in Höhe von 5000 EUR beim Preis von 1 Euro für ein Los nicht frei verfügen kann.

Wandeln wir das Ausgangsbeispiel noch ein letztes Mal ab: Du wirst von einem Kommilitonen gebeten, doch bitte Brötchen holen zu gehen, damit man gestärkt in den Tag starten kann. Du gehst in die Bäckerei und kaufst – ohne zu sagen, dass du für den Kommilitonen die Brötchen besorgst – Brötchen.

Weiter wird in der Vorlesung behandelt, dass du eine Willenserklärung nicht selbstständig abgeben musst, sondern dies durch einen Stellvertreter geschehen kann.  Welche Brötchen du holst, war dem Kommilitonen völlig egal, Hauptsache Brötchen. Hier handelst du als Stellvertreter des Kommilitonen, denn du gibst eine eigene Willenserklärung ab. Du bestimmt, welche Brötchen es gibt, du hast eine gewisse Entscheidungsmacht. Wesentlicher Punkt dieser Stellvertretung ist es, dass der Vertrag nicht zwischen dir und der Bäckerin zustande kommt, sondern der Bäckerin und dem Kommilitonen von dir. Weil du ihn nur vertrittst und in seinem Interesse handelst, sollen die Folgen deines Handelns auch ihn selbst treffen.

Anders, wenn der Kommilitone gesagt hätte, du sollst 3 Mehrkornbrötchen und 2 Sonnblumenkernbrötchen besorgen. Hier besitzt du keine Entscheidungsmacht. Du überbringst nur die Willenserklärung des Kommilito-nen an die Bäckerin. Du handelst hier nur als Bote. Gerne bildlich dargestellt als „wandelnder Briefkasten“. Aber auch hier kommt der Vertrag zwischen der Bäckerin und dem Kommilitonen zustande.

Bemerkbar macht sich der Unterschied zwischen einem Boten und einem Stellvertreter vor allem im Minderjährigen - Recht: Auch eine Geschäftsunfähige Person (also Personen unter 7 Jahren) können durchaus Boten sein (denn sie übermitteln ja nur eine fremde Erklärung zum Beispiel der Eltern). Stellvertreter können sie hingegen nicht sein, weil sie noch keine eigenen Willenserklärungen abgeben können, weil sie dem Geschäftsverkehr noch nicht gewachsen sind und daher noch keine rechtsgültigen Verträge selbst abschließen können. 

Ob es sich um einen Boten oder um einen Stellvertreter handelt, ist wieder durch Auslegung der Willenserklärung der beteiligten Personen zu ermitteln.

Literaturempfehlung: Er wird garantiert in sehr vielen BGB-AT Vorlesung genannt, weil es einfach sehr gut ist: Das Standardwerk im BGB AT: Brox/Walker: Allgemeiner Teil des BGB. Wer es kürzer mag ist ebenso gut mit dem Rüthers/Stadtler: Allgemeiner Teil des BGB bedient. Die Bücher sind qualitativ beide sehr gut, jedoch ist der Rüthers/Stadtler sehr kurz gehalten und sehr straff geschrieben. Für einen umfassenden Zugang bietet sich eher der Brox/Walker an, weil er ausführlicher ist und alles sehr anschaulich durch zahlreiche Beispiele verdeutlicht.

Allgemeiner Teil des Strafgesetzbuches („Strafrecht AT“)
Auch im Strafrecht hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, das Klammerprinzip anzuwenden: Die grundlegenden Normen, die für alle Straftatbestände (Mord, Totschlag, Sachbeschädigung, Betrug usw.) gelten, hat er an den Anfang des Strafgesetzbuches gestellt. Auf diese grundlegenden Regelungen wirst du im Laufe deiner Ausbildung ständig zurückgreifen.

Grundlegend wirst du in den ersten Vorlesungen den Sinn und Zweck des Strafrechts kennenlernen: Warum darf der Staat seine Bürger für ein Handeln bestrafen? Welche Zwecke verfolgen das Strafgesetzbuch und damit auch der Gesetzgeber damit? Auf den Punkt gebracht geht es hauptsächlich darum, dass der Staat versucht sog. sozialschädliches Verhalten (also Verhalten, das der Allgemeinheit schadet) zu unterbinden und den Rechtsfrieden zu erhalten und dafür zu sorgen, dass sich das Recht gegenüber dem Unrecht durchsetzt.

Bilden wir zur weiteren Verdeutlichung einen kurzen Beispielsfall: Boxer B geht auf den schmächtigen S zu, um ihn zu verprügeln. Um diese Attacke abzuwehren, setzt S ein mitgeführtes Tränengas ein. B leidet daraufhin eine Stunde lang unter tränenden Augen und Kopfschmerzen.

Danach wirst du kennenlernen, wie du die Strafbarkeit einer Person prüfst. wird die Strafbarkeitsprüfung in drei Teile gegliedert: Die Ebene der Tatbestandsmäßigkeit, die Ebene der Rechtswidrigkeit und die Ebene der Schuld.

Auf der ersten Ebene der Tatbestandsmäßigkeit muss geprüft werden, ob überhaupt die Voraussetzungen der Norm vorliegen aus der man den Täter bestrafen will. Im Beispielsfall könnte sich S der Körperverletzung an B strafbar gemacht haben. Dabei ist es deine Aufgabe zu überprüfen, ob sich der obige Beispielsfall von den Begriffen des Strafgesetzbuches („körperliche Misshandlung“ und „Gesundheitsschädigung“ in § 212 StGB) fassen lässt. Auf dieser Ebene geht es also nur um die tatsächlichen Gegebenheiten.

Erst auf der nun folgenden Ebene der „Rechtswidrigkeit“ geht es darum, ob der Täter vielleicht in seinem Verhalten gerechtfertigt gewesen ist. Hier könnte S aus Notwehr gehandelt haben, weil er als schmächtige Person von dem stämmigen Boxer B angegriffen wurde. Einen solchen Angriff muss S nicht dulden und darf sich dagegen entsprechend wehren. Dabei wirst du lernen, dass die Rechtfertigungsgründe an sehr strenge Voraussetzungen gekoppelt sind (nachvollziehbarer Weise wäre es nicht ok gewesen, wenn S sofort auf den Kopf des B geschossen hätte). 

Eigentlich wären wir nun mit dem Fall fertig. Der Täter ist in seinem Handeln gerechtfertigt, weil er aus Notwehr handelte.

Betrachten wir trotzdem einmal die letzte Ebene der Strafbarkeitsprüfung: Auf Schuldebene wird geprüft, ob dem Täter persönlich die Tat vorgeworfen werden kann, ob er also Schuldfähig ist oder ob ihm Entschuldigungsgründe zur Seite standen, z.B. der entschuldigende Notstand (§ 34 StGB).

Die Informationen für alle drei Ebenen entnehmt ihr dem Sachverhalt, der euch in der Vorlesung oder Klausur vorgelegt wird. Wenn dort zum Beispiel überhaupt keine Informationen über eine mögliche Rechtfertigung des Täters genannt sind, so braucht ihr darauf kein großes Augenmerk werfen und könnt dies unproblematisch bejahen (z.B. „Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. Der Täter handelte auch rechtswidrig“).

Damit sind die wesentlichen Inhalte der ersten Wochen der Strafrecht-AT Vorlesung umrissen. Danach werdet ihr kennenlernen, dass es für eine Strafbarkeit nicht zur Vollendung der Tat kommen muss. Es reicht, wenn der Täter das sog. Versuchsstadium erreicht hat, wenn er also unmittelbar zur Tatverwirklichung angesetzt hat.

Bilden wir dazu ein anderes Beispiel: A ist ins Haus der D eingedrungen, steht vor der D und zielt mit der Pistole auf sie. A be-kommt dann aber Gewissensbisse, weil die arme und zierliche Frau ihm Leid tut und flieht ohne abzudrücken.

Hier hat A noch relativ wenig getan. Er hat die D tatsächlich noch nicht erschossen oder sonstige Delikte an ihr vollendet. Die Frage, die sich dann aber aufdrängt ist, ob dieses vor dem Opfer stehen und mit der Waffe auf das Opfer zielen schon strafwürdig ist? Genügt dieses „wenige“ Verhalten schon für eine Strafbarkeit des A aus? Du wirst gerade im Strafrecht lernen, dass es nicht „das“ eine richtige Ergebnis gibt, sondern jeder für sich das Für und Wider der Bestrafung des Täters gegenüberstellen muss: A hat bei der D allein durch das Gegenüberstehen mit der Waffe schon einen Schockmoment ausgelöst und sie wird diese Situation auch erst einmal verarbeiten müssen. Dies würde zumindest für eine ansatzweise Strafwürdigkeit des A sprechen. Man kann sich aber auch auf den Standpunkt stellen, dass noch mehrere weitere Schritte notwendig sind, um die D letztendlich zu erschießen (A muss noch zielen und den Abschuss betätigen) und damit zur Straflosigkeit des Verhaltens des A gelangen.

Diese „ansatzweise Strafwürdigkeit des A“ wird im Strafrecht unter dem Begriff „Versuch“ gefasst: Der Täter hat die Tat noch nicht vollbracht (A hat D noch nicht erschossen), ist aber soweit fortgeschritten, dass es zu einer Gefährdung des Opfers gekommen ist (wie es im obigen Beispiel der Fall ist).

Ich würde mich in dem Fall dafür entscheiden, dass A zumindest des Versuchs strafbar ist, allein aus der Erwägung, dass die D deutlich unter Schock stehen wird und nicht mehr viel gefehlt hätte, bis A die Tat vollendet hätte. A hat dann von der Tat aber wieder Abstand genommen und hat den Tatort verlassen. Dies tat er, weil die D ihm zu zierlich erschien und er Mitleid mit dem Opfer hatte. Die Rechtsordnung will ein solches Verhalten des Täters honorieren. Wenn der Täter selbstständig entscheidet, dass er wieder in die Legalität zurückkehren will (also wie A von seiner Tat Abstand nimmt), dann soll ihm auch die Möglichkeit geboten werden, straffrei auszugehen. Dies wirst du unter dem Stichwort „Rücktritt“ kennenlernen. Die Anforderungen an den Rücktritt sind aber sehr hoch, der Täter muss tatsächliche Anstrengungen anstellen, um das Leben des Opfers nicht weiter zu gefährden.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Unterscheidung zwischen der vorsätzlichen und fahrlässigen Begehungsweise eines Delikts. Kommt es dem Täter gezielt mit Wissen und Wollen darauf an, genau diese Tat zu verwirklichen (= der Täter handelt vorsätzlich) oder begeht er eine Sorgfaltspflichtverletzung (Bsp.: Hat der Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst operiert oder hat er nicht die notwendige Sorgfalt walten lassen =Fahrlässige Begehungsweise)?

Der Täter kann sich aber auch durch die Nichtvornahme einer von ihm verlangten Tätigkeit strafbar machen. In einem solchen Fall hat sich der Täter aus einem Unterlassungsdelikt strafbar gemacht. Darunter fallen beispielsweise der Vater, der seine Tochter nicht aus dem Wasser vor dem Ertrinken rettet, aber auch der „Gaffer“, der bei einem Verkehrsunfall untätig bleibt, obwohl ihm ein Handeln zumutbar gewesen wäre.

Täter handeln auch nicht immer alleine. Wandeln wir dazu den Fall von oben etwas ab: A ist - nachdem Bandenchef B ihm dafür eine Belohnung von 10.000 EUR angeboten hat – ins Haus der D eingedrungen, steht vor der D und zielt mit der Pistole auf sie. A bekommt dann aber Gewissensbisse, weil die arme und zierliche Frau ihm Leid tut und flieht ohne abzudrücken.

Ihr werdet sehen, dass ganz viele Täter gemeinsam oder aufgrund eines Auftrags von einer anderen Person handeln. Im Beispielsfall hat der A die Tat nur begangen, weil B ihm dafür eine Belohnung in Höhe von 10.000 EUR dafür angeboten hat. B war aber selbst am Tatort – also in der Wohnung der D – nicht anwesend. Trotzdem hat er einen wesentlichen Teil der Tat ausgemacht. Er hat nämlich den Entschluss zu dieser Tat bei A hervorgerufen. Auch solche Täter müssen von der Rechtsordnung bestraft werden und dies lernst du unter der Überschrift „Täterschaft und Teilnahme“ in der Vorlesung kennen.

Zuletzt muss dann noch geklärt werden, wie der Täter zu bestrafen ist, wenn er mehrere Straftaten verwirklicht hat, dies geschieht unter dem Stichwort der „Konkurrenzen“. Dies richtet sich nach dem Unrechtsgehalt der jeweiligen Taten und der Schwere der Schuld des Täters.

Wie es im tatsächlichen Leben auch der Fall sein kann, kann der Täter Irrtümern unterliegen. Kommen wir auf das obige „Ebenen-Modell“ noch einmal zurück, so kann der Täter sich auf allen drei Ebenen irren:

  • Auf der  Tatbestandsebene kann sich der Täter über die Identität des Opfers irren (Bsp.: A hat den Auftrag B zu erschießen. Im Dunkeln sieht er aber nicht richtig und erschießt dann versehentlich den C.)
  • Auf der Rechtfertigungsebene kann sich der Täter über einen Rechtfertigungsgrund irren. (Bsp.: A beleidigt den B in der Strafrecht AT Vorlesung als „Looser, der im Jura-Studium nichts zu suchen hat.“. Daraufhin sticht B auf den A ein, weil er glaubt aufgrund von Notwehr zu diesem Handeln berechtigt zu sein.
  • Auf der letzten Schuldebene kann sich der Täter insb. über das Vorliegen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes irren. (Bsp.: A stürzt auf einer Treppe im Kaufhaus und streift dabei den B am Rücken, weil er versucht sich irgendwo festzuhalten. B denkt, dass er angegriffen wird und tritt mehrmals auf den am Boden liegenden A ein.).

Literaturempfehlung: Der absolute Klassiker ist hier der Wessels/Beulke mit ihrem Werk zum Allgemeinen Teil des StGB. Gleichwertig und wiederum etwas straffer gefasst ist das Werk von Rudolf Rengier mit dem gleichnamigen Titel. Beide Werke zeichnen sich durch zahlreiche aktuelle Beispiele aus, wobei der Wessels/Beulke an mancher Stelle für ein Grundlagenwerk etwas zu sehr ins Detail geht.

Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht
In der Vorlesung zum Staatsorganisationsrecht werden euch die verfassungsrechtlichen Grundlagen für euer weiteres Studium beigebracht.
Zunächst geht es darum, was überhaupt unter einem Staat zu verstehen ist. Nach Georg Jellinek und seiner „Drei-Elementen-Lehre“ sind dafür ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet und eine Staatsgewalt notwendig.

Danach geht es darum, welche Staatsform die Bundesrepublik Deutschland besitzt (also die Demokratie und Republik). Daneben geht es um die Staatszielbestimmungen aus dem Grundgesetz, also das

  • Rechtsstaatsprinzip: Das Handeln aller Personen im Staat muss sich an Recht und Gesetz halten und darf diesem nicht zuwiderlaufen.
  • Demokratieprinzip: Legitimation von hoheitlicher Gewalt durch das Volk, d.h. jedes staatliche Handeln ist auf einen Willensakt des Volkes zurückzuführen. Dabei wirst du auch umfassend die Wahlgrundsätze kennenlernen: Wahlen müssen allgemein, gleich, frei, unmittelbar und geheim stattfinden.
  • Bundesstaatsprinzip: Der Staatsverband ist in zwei Ebenen gegliedert, die zentrale des Bundes und die dezentrale der Gliedstaaten, zwischen denen die staatlichen Kompetenzen verteilt sind.
  • Sozialstaatsprinzip: Staat muß die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schaffen (BVerfGE 82, 60, 80); absoluter Minimalstandard für alle, Schutz der Schwächeren, solidarischer Beistand in der Not
  • Republikprinzip: In einer Republik gelangt das Staatsoberhaupt durch Wahl in ein befristetes Amt. Abzugrenzen von der Monarchie, in der sich das Staatsoberhaupt aus dynastischen Gegebenheiten ergibt.
  • das Staatsziel des Umweltschutzes,

die sich alle aus dem Grundgesetz ergeben.

Wenn die Grundlagen der Staatsformen geklärt sind, geht es um die Erklärung der wichtigsten Staatsorgane. Ihr bekommt erklärt, welche Staatsorgane die Bundesrepublik besitzt (Bundestag, die politischen Parteien, Bundesrat, Bundesregierung und Bundeskanzler und Bundespräsident) und welche Funktionen sie im Machtgefüge erfüllen (Unter Beachtung der Gewaltenteilung).

Weiter geht’s thematisch dann mit dem Gesetzgebungsverfahren. Es wird ausführlich darauf einge-gangen wie ein Gesetz oder Verordnung zustande kommt und wie die Gesetzgebungskompetenzen zwischen den Ländern und dem Bund nach dem Grundgesetz aufgeteilt ist. Dazu gehört im weitesten Sinne auch, wie die Länder die Bundesgesetze jeweils umsetzen. Relativ problematisch ist dabei der Einsatz der Bundeswehr, sowohl im Ausland (weil dazu umfangreiche Voraussetzungen erfüllt sein müssen) als auch im Inlandseinsatz (weil dies nur in absoluten Ausnahmesituationen möglich ist, Art. 87a GG).

Zu dem Stoff der Vorlesung gehören aber auch die jeweiligen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Kurz wird dabei auf die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Machtgefüge der Bundesrepublik und dessen Aufgaben eingegangen. Danach geht es um die einschlägigen Verfahren vor diesem Gericht. Die wichtigsten sind:

  • das Organstreitverfahren (ein Verfassungsorgan streitet mit einem anderen Organ um die Kompetenzverteilung),
  • die abstrakte Normenkontrolle (bei der abstrakt – also losgelöst von einem konkreten Fall – eine Norm vom Bundesverfassungsgericht auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft werden soll),
  • die konkrete Normenkontrolle (das Gericht soll in einem konkreten Fall die Verfassungsmäßigkeit einer Norm überprüfen) und
  • der Bund-Länder-Streit (hier geht es um die Kompetenzabgrenzung zwischen dem Bund und den Ländern).

 

Literaturempfehlung: Der Klassiker im Staatsorganisationsrecht ist das Lehrbuch von Prof. Jörn Ipsen. Hier werden die wichtigsten Inhalte fallorientiert und immer an aktuellen Fällen aus der aktuellen Rechtsprechung dargestellt. Den Lernerfolg kann man anhand der auf das Buch abgestimmten Kontrollfragen auf der Seite von Prof. Ipsen kontrollieren. Eine echte Alternative stellt dazu das gleichnamige Werk von Prof. Christoph Degenhardt dar.

Das Grundlagenfach
An den meisten rechtswissenschaftlichen Universitäten wird in den Anfangssemestern auch ein Grundlagenfach angeboten. Dies kann Kriminologie, Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechts-psychologie oder sonstige Gebiete, die sich mit dem Fach Recht verknüpfen lassen, sein.
In diesen Veranstaltungen soll der Blick über den Tellerrand ermöglicht werden. Es soll gezeigt werden, dass Recht nicht nur eine isolierte Materie ist, sondern zahlreiche Anknüpfungspunkte und Überschneidungen mit vielen anderen Gebieten aufweist.
Von nicht zu unterschätzenden Vorteil ist es eine rechtsgeschichtliche Veranstaltung zu besuchen. Für das spätere Argumentationsvermögen und Verständnis insbesondere des bürgerlichen Rechts ist der geschichtliche Hintergrund sehr gewinnbringend, wenn man sich auch nur die Grundlagen verinnerlicht hat.

Die Arbeitsgemeinschaften
In der Vorlesung lernt ihr die oben genannten Grundlagen für euer juristisches Studium. Jedoch müsst ihr dieses Wissen auch irgendwie in der Klausur und in der Falllösung richtig anwenden können. Dieses werdet ihr in den Arbeitsgemeinschaften lernen, die parallel zu den Vorlesungen des Grundstudiums angeboten werden. Häufig ist der Besuch der Arbeitsgemeinschaften („AG“) nicht zwingende Voraussetzung für die Klausur- oder Examensanmeldung, jedoch sei jedem der Besuch dieser AGs ans Herz gelegt – nur dort werdet ihr unter professioneller Anleitung eines Lehrstuhlmitarbeiters an die Falllösungstechnik herangeführt. Größter Vorteil ist jedoch, dass ihr in einem kleinen Kreis von Kommilitonen zusammenarbeitet. Dort könnt ihr auch die Fragen stellen, die ihr euch vor dem vollen Auditorium vielleicht nicht getraut habt zu stellen und ihr werdet aktiv aufgefordert euch mit der Falllösung auseinanderzusetzen. Ihr werdet einen deutlichen Mehrwert haben, wenn ihr die Falllösung mitentwickelt und euch aktiv einbringt, und nicht nur die vollendete Falllösung kurz noch einmal nachlest.

Die AG-Sitzungen weisen meistens den gleichen Ablauf auf: Zu Anfang wird der zu besprechende Fall für die Sitzung vom AG-Leiter kurz vorgestellt. Danach macht ihr euch alleine oder in Gruppenarbeit an die Lösung des Falles, wobei ihr euch meistens nur kurz Gedanken über die Schwerpunkte machen sollt (ca. 10 Minuten Eigenarbeitsphase). Danach wird der Fall im Plenum besprochen, wobei jeder die Gelegenheit hat etwas zu Falllösung beizutragen. Da die AGs thematisch häufig parallel zum Vorlesungsinhalt verlaufen, seht ihr nun, wie ihr das theoretische Wissen aus der Vorlesung in der Falllösung praktisch anwenden könnt.

Kommentare

wirklich unheimlich hilfreich !

Danke !

Smile

Liebe Hannah,

danke für Dein Feedback - wir freuen uns sehr, dass wir dir helfen konnten!

Beste Grüße,
Paul

P.S.: Vielleicht magst Du uns ja weiterempfehlen? -> www.facebook.com/iurastudent

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