1. Neuheit der Erfindung (§ 3 Abs. 1 PatG)

„Eine Erfindung gilt als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört.“
(§ 3 Abs. 1 PatG)


Maßgeblich für die Neuheit ist also die Offenbarung im Rahmen des Stands der Technik. Dabei ist es essentiell zu beachten, dass alle wesentlichen Merkmale der Erfindung in nur einem Dokument aus dem Stand der Technik offenbart werden, um neuheitsschädlich zu sein. Das bedeutet, dass eine Kombination von Merkmalen aus verschiedenen Dokumenten nicht neuheitsschädlich für eine Erfindung ist - können beispielsweise alle wesentlichen Merkmale einer Erfindung in der Kombination zweier Dokumente A und B gefunden werden, so ist dies nicht neuheitsschädlich. Nur in dem Fall, dass alle wesentlichen Merkmale einer Erfindung in nur einem Dokument (z.B. Dokument A) offenbart werden, ist diese Erfindung nicht neu.

Dieser Kunstbegriff Stand der Technik wird im PatG weiterhin definiert: „Der Stand der Technik umfasst alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag [Anm. d. Verf.: Prioritätstag] durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.“ (§ 3 Abs. 1 PatG) Insbesondere sind auch Patentanmeldungen, die vor der eigenen Anmeldung angemeldet, aber erst nachträglich veröffentlicht wurden, Bestandteil des Stands der Technik, um Doppelpatentierung zu vermeiden. Man spricht in diesem Zusammenhang von älteren Rechten.

Wichtig für die Beurteilung der Neuheit ist, dass die reine Möglichkeit der Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit bereits als neuheitsschädlich angesehen wird: So steht die Veröffentlichung einer Erfindung auf einer öffentlichen Messe einer späteren Patentanmeldung entgegen. Ebenso verhält sich dies, wenn der Öffentlichkeit bei einem Tag der offenen Tür prinzipiell Zugang zu einer noch nicht angemeldeten Erfindung gewährt wird. Letzteres ist jedoch im Allgemeinen nicht für die Prüfung während des Erteilungsverfahrens von Interesse, sondern spielt vielmehr eine Rolle, wenn ein erteiltes Patent von der Konkurrenz wegen mangelnder Rechtsbeständigkeit angegriffen wird.

Eine Problematik ergibt sich aus der keinesfalls unstrittigen Auslegung des Neuheitsbegriffs nach zwei Theorien:

a) Photographietheorie:
Nur wörtlich/expressis verbis im Stand der Technik offenbarte Merkmale einer Erfindung sind neuheitsschädlich.

b) Listentheorie:
Zusätzlich zu wörtlich im Stand der Technik offenbarten Merkmalen sieht die Listentheorie jegliche Merkmale als neuheitsschädlich an, die sich für einen Fachmann in naheliegender Weise ergeben, indem eine Merkmalsliste durch den Fachmann fortgesetzt wird.

c) Beispiel zur Verdeutlichung:
Erfindung: Chemisches Verfahren unter Verwendung von Brom.
Stand der Technik: Ansonsten identisches chemisches Verfahren unter Verwendung von Chlor und/oder Iod.
Photographietheorie: Nicht neuheitsschädlich.
Listentheorie: Neuheitsschädlich.

Begründung: Durch die Verwendung von Brom grenzt sich das Verfahren gemäß der Photographietheorie vom Stand der Technik ab, das Verfahren ist demnach neu. Nach der Listentheorie erkennt der hypothetische Fachmann in Chlor und Iod beim Verfahren aus dem Stand der Technik Halogene und schlussfolgert, dass dieses Verfahren durch Verwendung irgendeines Halogens anwendbar ist. Da Brom in die Reihe der Halogene fällt, ist dies für den Fachmann kein neues Merkmal und somit ist der Stand der Technik neuheitsschädlich.

Um Problematiken hieraus weitestgehend zu vermeiden, wird typischerweise die Photographietheorie angewendet. Die Listentheorie findet ihre Anwendung in der anschließenden Prüfung der erfinderischen Tätigkeit.

Abgesehen von diesem Neuheitsbegriff existiert bei der Patentierbarkeit von Stoffen und Geräten für medizinische Verfahren ein eigener Neuheitsbegriff. In diesem Fall richtet sich die Neuheit nach der medizinischen Indikation. Es kann beispielsweise ein Patent für ein Arzneimittel zur Anwendung in einem Behandlungsverfahren einer Krankheit „X“ (erste medizinische Indikation) erteilt werden. Davon losgelöst kann dasselbe Arzneimittel zur Anwendung in einem Behandlungsverfahren einer Krankheit „Y“ (zweite medizinische Indikation) ebenfalls patentfähig sein. Wichtig ist dabei, dass die jeweilige medizinische Indikation vor Anmeldung des Patents nicht offenbart wurde – sie darf nicht aus einer früheren medizinischen Indikation hervorgehen. Die medizinische Indikation ist nicht auf erste und zweite med. Indikation beschränkt. Bei vielseitigen Medikamenten sind durchaus weitere medizinische Indikationen denkbar.